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Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Titel: Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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Linsen. Dazu ein Schluck Milch. Die gute Bauernmilch, versteht sich.
    Ein Buh den Prahlern, die das glauben, was sie anderen vormachen. Ihnen entgeht viel. An erster Stelle das Vergnügen, an Tagen, da jeder Nerv Alarm trommelt und die Welt ein Scherbenhaufen ist, ein Buch ohne das Prädikat gut zu lesen. Bei mir stehen die Jungmädchenbücher Nesthäkchen und Trotzkopf in der literarischen Notapotheke, für bildungshungrige Momente Der kleine Lord. Private Recherchen haben ergeben, dass es Männer, auch die von Welt und Geist, zu Jerry Cotton zieht. Früher war es Karl May, aber der gilt heute doch als ein wenig schwer.
    Wer mir weismacht, für ihn sei es das wahre Erdenglück, ein gutes Buch zu lesen, dem unterstelle ich, dass er allenfalls Kochrezepte oder Börsenkurse liest.

Die geschenkte Stunde
    Es kommt ja so gut wie nie vor, dass abhandengekommene Schätze wieder zum Eigentümer zurückfinden. Einbrecher, Taschendiebe und Elstern, Naschkatzen und gänsehungrige Füchse können das bezeugen. Morgen aber, genau um drei Uhr in der Früh, bekommen wir alle die Stunde zurück, die uns die Zeitdiebe im März nahmen. Die Umstellung auf die Winterzeit will es so.
    Das Lied ist alt und doch ewig neu. Ursprünglich dachten kluge Leute, durch Zeitanpassung ließe sich Energie sparen. Dann setzten ebenso kluge Leute dagegen, dass dem nicht so ist. Gefragt wird jedenfalls keiner, ob er lieber bei Dunkelheit aufsteht oder nachmittags bereits um fünf Uhr eine Kerze anzündet und sich als Romantiker tarnt. Weil wir jedoch freie Bürger sind und ein verbrieftes Recht auf eine eigene Meinung haben und uns außerdem die geschenkte Stunde beliebig gönnen dürfen, ist es des Nachdenkens wert, wie wir die 3600 Sekunden gestalten wollen, angenehm, individuell und originell, versteht sich.
    Misanthropen haben es am leichtesten. Sie bringen jedes Jahr das gleiche Jammerstück auf die Lebensbühne und quengeln, ihr Biorhythmus wäre aus den Fugen geraten und ihre Nerven komplett aus dem Lot.
    Wer nur über ein Quäntchen mehr Lebensfreude verfügt, macht sich indes klar, dass so eine Zusatzstunde ein Geschenk von allerhöchstem Wert ist. Mit 60 Minuten Extrazeit, die erst im März wieder zu retournieren sind, lässt sich gut wuchern. Beispielsweise kann man den Hund statt nur um den Block in den Wald führen, das Märchen von Hans im Glück lesen und sich Zeit zu einem Seufzer nehmen oder eine Tragödie schreiben, in der es um das Gefühlsleben von Lokomotivführern auf ICE-Zügen geht. Enorm befriedigend ist es, ein Kind anzulächeln, des Sommers letzte Rose zu grüßen oder sich ausnahmsweise mal zu entschuldigen, wenn man einen Menschen anrempelt.
    Wem all das nicht mundet, dem bleibt die Möglichkeit, sich eine Stunde lang aufs Sofa zu legen und zu träumen, wir könnten, sobald der Teufel Hetze uns bedroht, vom Himmel jederzeit eine zusätzliche Stunde anfordern. Mit Sternenstaub garniert und nach Flieder duftend.

Ein schlechter Ruf bleibt ewig jung
    Dieses Jahr schmückt er sich mit fremden Federn, er glänzt oktobergold und frühlingsgrün. An ganz gewöhnlichen Werktagen trägt er königsblaue Samtwesten und in der Nacht die feinste Sternenseide. Der November, seit Urzeiten als der Launenverderber mit der Schnupfennase verschrien und immer gut für Seelenkummer, hat sich anno 2010 keinen Deut darum geschert, was er seinem miesen Ruf schuldig ist.
    Trug er sonst nicht vom ersten Tag an Trauerflor und weinte Nebeltränen? War er nicht stets ein Kerl zum Grausen? Die letzten bunten Blätter lehrte er das Fürchten, die Bäume ließ er nackt im Sturm und Regen stehen. Optimisten, Spaßmachern und Scherzkeksen hat er die Petersilie verhagelt, hat grinsend Lebensfreude eingeschmolzen und hohlwangig Trauerlieder gepfiffen. Nun ist alles anderes gekommen als erwartet. Wir stehen dumm im warmen Mantel herum, reißen uns den Schal vom Hals und trocknen die schweißnasse Stirn.
    Schlauberger, die von Berufs wegen die Temperaturen von morgen mit denen von vorgestern vergleichen, wirken, als seien sie am Ende ihres meteorologischen Lateins. Ein Fernsehwetterfrosch, der sonst mit beneidenswerter Selbstsicherheit auf jedes Problem eine Antwort aus dem Ärmel schüttelt, hat vor ein paar Tagen mit Spötterzunge vom goldenen November gesprochen.
    In anderen Worten: Der November ist auch nur ein Mensch, einer, dem man nicht trauen sollte, nur weil er sich eine kurze Zeit lammfromm und freundlich wie ein junges Kätzchen gegeben hat. Wer

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