Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel
die erste Bekanntschaft mit dem zähen Kerl machte, schmeckt er immer noch so abscheulich wie damals.
Hammer und Säge aus Vollmilchschokolade
Die Vögel zwitschern ohne Lust, der Ostwind droht mit Glatteis und der aus dem Norden mit Grippe. Selbst die kleinsten Unken singen schmutzige Lieder und behaupten, die Zukunft trage Siebenmeilenstiefel. Morgens wird es zu spät hell, abends zu früh dunkel. Nichts ist, wie es sein soll. In einer Kochzeitschrift sah ich ein Reh am Waldesrand stehen, doch statt mit einer Unterschrift, die dem edlen Tier gerecht geworden wäre, war das Foto mit einem Rezept für Rehkeulen versehen.
Man sieht: Wir haben den Magen auf Winter und das Gemüt auf Weihnachten einzustellen. Hotels bieten Genusswochen an; der Gast hat Exquisites wie Zanderfilet auf Majoranlinsen und Lammspießchen auf Patatenpüree zu erwarten. Meisterköche zeigen sich bereit, ihre Kenntnisse auch mit Menschen zu teilen, die ein Perlhuhn mit einem Fasan verwechseln, und was die Schüler im Topf haben, dürfen sie an Ort und Stelle verputzen.
Wer dem Kater brühwarm erzählt, das ganze Leben sei letztendlich doch nur für die Katz, beschäftigt sich zu Hause mit Weihnachten. Eine edle Firma in London, die außer der Queen Hoheiten aus aller Herren Länder bedient, hat ausgerechnet mich auf ihrer Adressenliste. Das Management scheint zu wissen, dass ich meinen zweijährigen Großneffen vergöttere. Es bietet mir einen silbernen Geschenkkorb mit wunderbar verpacktem Naschwerk für Kinder an. Von dem Geld, das für diese Kariesfalle zu entrichten ist, kann sich ein Zahnarzt ein Schachspiel aus purem Gold kaufen. Eine deutsche Firma für Leute mit bescheidenen Ansprüchen und ebensolchem Geschmack hat hingegen wirklich Preiswertes im Angebot, für den Heimwerker gibt es Hammer, Säge und Zange aus Vollmilchschokolade, für Senioren, die nicht glauben wollen, wie es um die Welt bestellt ist, kaufe der Enkel Brille und Gebiss aus Marzipan.
Doch nur Pessimisten und Angsthasen lassen sich ins Bockshorn jagen. Mir vermiest keiner den Herbst. Alle Zeit der Welt habe ich, um für die Eichhörnchen im Park ein Rezept für Nusskuchen zu komponieren. Nachts werde ich am Fenster stehen und die Sterne zählen. Jede Rose, die noch in Blüte steht, will ich persönlich grüßen, jeder Sonnenblume werde ich sagen, dass ich sie liebe, und jeder Baum im goldenen Galakleid des Oktobers soll mein Geheimnis erfahren. Nur weil ich die Gegenwart als einen Herzensfreund empfinde, kann ich es überhaupt mit der Zukunft aufnehmen.
Marmelade aus grünem Tee
Beim Friseur und in Arztpraxen bekommen wir die spannende Lektüre zu lesen, die wir sonst links liegen lassen, und das ist gut so. Nur wer ständig dazulernt, erreicht das Klassenziel des Lebens. Seit gestern weiß ich, dass bei Charles der Ehesegen schief hängt, weil Frau Camilla nicht von der Whiskeyflasche lassen will. Der holländische Thronfolger, der immer so aussieht, als ginge ihm nichts ans Herz als das Wohl seiner drei Töchter, soll sich ins Kindermädchen verguckt haben, und in Monacos Gerüchteküche kochen ständig drei Starköche.
Die Zeitungen der besonderen Art füttern indes nicht nur die Abteilung Romantik. Die menschenfreundlichsten Exemplare im Blätterwald halten uns ständig auf dem Laufenden mit Tipps und Tricks, um Alter, Krankheit und Tristesse ein Schnippchen zu schlagen. Bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass Schokolade mehr ist als eine süße Versuchung und ein passionierter Hüftkiller. Schokolade wird heute als Anti-Aging-Praline und gegen Falten eingesetzt. Obwohl die Praline, um die es hier geht, zuckerfrei ist, heißt es in dem Artikel, der mir eine total neue Welt eröffnete, sie löse ein Feuerwerk von Glück aus.
Menschen der durchschnittlichen Art haben Marmelade ja bisher immer nur aufs Brot geschmiert, vielleicht auch den Joghurt damit versüßt. Wird sie aber aus Tomaten und Grünem Tee gekocht, fällt sie in die Rubrik Beauty Food. Französische Apotheken verkaufen die aparte Mixtur als Schönheitsmittel. In Amerika gehen Anti-Falten-Kekse weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln.
Auch bei uns, die wir uns lange Jahre an das Credo vom kalten Kaffee und dem Schlaf vor Mitternacht als Schönmacher hielten, erwacht die Lust aufs Außergewöhnliche. Es gibt bereits Apothekenschokolade in Pillendöschen, und eine Klosterbrauerei braut Anti-Aging-Bier. Sobald ich die ganze Palette der Sojapräparate und
Weitere Kostenlose Bücher