Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel
zueinander finden, und Sonnenschirme werden heute allenfalls von japanischen Damen benutzt, für die ein blasser Teint Noblesse und Kultur symbolisiert. Im 19. Jahrhundert war das ganz anders. Ein Sonnenschirm übermittelte so viele Botschaften wie heute Mails und SMS. Offen und in der linken Hand getragen gab der Schirm einem Mann zu verstehen, dass die Trägerin seine Bekanntschaft machen wollte. Durch einen geschlossenen Sonnenschirm in der Linken schlug Madame dem Objekt ihrer Begierde vor, an der nächsten Kreuzung auf ihn zu warten. Das alles deutet darauf hin, dass Deutschlands Männer zwischen der Steinzeit und der Gegenwart eine feinfühlige und wache Phase hatten. Es wäre albern und auch undankbar gegenüber dem technischen Fortschritt, der heute unser Leben prägt, den romantischen Tändeleien von vorgestern nachzutrauern. Frauen benutzen nur noch Papiertaschentücher, nach denen sie sich noch nicht einmal selber bücken, wenn sie ihnen aus der Hand fallen; sie kokettieren weder mit Handschuhen, die ihnen von Männern nachgetragen werden, noch locken sie ihre Beute an, indem sie hinter Fächern Signale austauschen.
Die Cafés alter Art wurden von den beliebten Tankstellen für Espresso und Latte macchiato abgelöst. Dort hält sich die überwiegende Anzahl der Konsumenten nur im Ausnahmefall damit auf, miteinander zu kommunizieren. Hübsche junge Frauen, um deretwillen in meiner Jugend Männer durch tausend Feuer gegangen wären, simsen, starren ins Laptop, sprechen ins Handy, forschen im Internet und wissen im Gegensatz zu mir, was ein Facebook ist. Auf alle Fälle wirken sie bedeutend. Gegen diesen Trend der Zeit verhalten sich nur junge Mütter. Sie geben allzeit und auf entzückende Art dem Wunsch ihrer Babys nach, die auf persönliche Ansprache, Flasche und Beißring bestehen.
Dass Mann und Frau noch zueinander finden wie einst im Mai der Menschheit, verwundert mich indes nicht. Es gibt ja den Flirtcoach, Flirtschulen, Singlebörsen und den virtuellen Chat. So gerät keine Frau mehr in eine Situation, in der sie hinter einem geöffneten Fächer kokettieren oder einen Handschuh fallen lassen muss. Als Frau von gestern finde ich es allerdings logisch, dass es heute mehr Männer mit Neurosen gibt als Kavaliere, die Rosen verschenken.
Mona Lisa im Salzteig
Wir wissen, dass es im Lauf der Geschichte viele kreative Menschen gegeben hat. Beispielsweise Rembrandt, Michelangelo, Goethe und Newton, dem ein Apfel auf den Kopf fiel und der daraufhin prompt das Gesetz der Schwerkraft entdeckte. Der Große Brockhaus ist voll solcher Geschichten. Von kreativen Frauen ist selten die Rede. Die putzten und brutzelten, brachten Kinder zur Welt und waren dem Gatten auch sonst zu Diensten. Schöpferisches Tun wurde weder von Arm noch Reich erwartet. Sticken, Spinnen, Weben und ein bisschen Singen reichten vollauf.
Erst uns Heutigen wird Kreativität anempfohlen sozusagen als Gegenstück zur technisierten Welt. Die Freizeitforscher gehen davon aus, dass schöpferisch tätige Menschen und da vor allem die Frauen rundum glücklich sind. Künstlerisches gedeiht aber nicht im Sessel, selbst nicht mit einem Buch. Auch reicht es nicht, sich beim Bügeln ein Hörbuch vorlesen zu lassen oder beim Telefonieren Strichmännchen zu zeichnen. Die Mona Lisa als Katze zu malen oder in Salzteig auszubacken beweist schon eher Talent zum Außergewöhnlichen. Zu loben sind Vierjährige, die aus dem Teig für Mamis Käsekuchen einen Klumpen kneten, der sich als der Bamberger Reiter deuten lässt.
Vorsicht vor Frauen, die im Advent nur Plätzchen backen, statt Gedichte zu schreiben oder den Faust für Analphabeten zu illustrieren.
Der Umstand, dass es Begriffe wie Kreativitätstest und Kreativitätstrainer gibt, zeigt auf alle Fälle, dass wir alle Kreativität so nötig haben wie unser täglich Brot und die Fernbedienung. Armselige Kreaturen sind das, die in ihren Ferien das Leben genießen, ohne sich weiterzubilden. Das Wort Kreativurlaub, in dem der Mensch eine künstlerische Tätigkeit erlernen oder die bereits erlernte ausüben kann, verdanken wir Wissenschaftlern, die Müßiggang als gesundheitsschädlich empfinden. Die Vorstellung, einen Krug zu töpfern oder eine Collage aus Fischgräten zu kleben, sollte manchen von uns dazu bringen, im Urlaub nicht auf der faulen Haut zu liegen. Die ist ja auf die Dauer schon den alten Germanen nicht gut bekommen.
Nur eine Erfindung der Philosophie
Wenn sich die Welt überhaupt nicht
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