Am Strand des Todes
»und erzähl mir
genau, was du erlebt hast, aber ohne Dramatik, nur die
einfachen Tatsachen.«
Elaine atmete tief durch, um sich wieder unter Kontrolle zu
bringen, bevor sie ihm genau erklärte, was passiert war. Brad
hörte ihr aufmerksam zu, zuckte dann aber mit den Schultern.
»So schrecklich finde ich das gar nicht«, meinte er.
»Aber es war entsetzlich, du warst ja nicht dort. Du hast es
nicht gesehen!«
»Nein, das war ich nicht«, gab Brad gelassen zu, »aber wieso
bist du so sicher, daß man ihn getötet und im Sand verscharrt
hat?«
»Wie sollte es sonst gewesen sein?« wollte Elaine wissen.
»Wir hatten einen Sturm letzte Nacht, stimmt’s?«
Elaine nickte stumm.
»Also – könnte der kleine Hund nicht am Strand gespielt
haben, wo ihn ein Stück Treibholz traf? Das könnte ihm ohne
weiteres das Genick brechen, und die Flut tut dann ein übriges
und begräbt ihn im Sand. Meiner Meinung nach würde
niemand, der einen Hund tötet, diesen am Strand begraben, wo
er jederzeit wieder freigespült werden kann. Wenn man einen
Hund verschwinden lassen will, begräbt man ihn dort, wo er
auch verschwunden bleibt, glaubst du nicht auch?«
Elaine kam sich plötzlich recht kindisch vor. Sie warf Brad
ein um Verzeihung bittendes Lächeln zu. »Warum hast du
mich bloß geheiratet?« fragte sie. »Hast du’s nicht langsam
satt, daß ich dauernd so übertrieben reagiere?«
»Eigentlich nicht, dadurch wird das Gleichgewicht
wiederhergestellt, schließlich neige ich zum Untertreiben.« Er
lächelte ironisch. »Vielleicht bin ich deshalb ein so guter
Klapsdoktor
– ich höre mir die unwahrscheinlichsten
Geschichten meiner Patienten an und reagiere überhaupt nicht
darauf. Willst du eine davon hören?«
»Im Augenblick nicht«, wehrte sie errötend ab. »Hast du
noch nie etwas vom Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und
Patient gehört?«
»Das gilt vielleicht vor Gericht, aber nicht gegenüber der
eigenen Frau«, erwiderte Brad leichthin. »Komm, laß uns
frühstücken gehen.«
Als sie durch die kleine Eingangshalle gingen, fragte der
Wirt, ob sie noch länger bleiben wollten. Elaine wollte es
gerade verneinen, als sie Brads Händedruck spürte.
»Wir bleiben noch ein paar Tage«, sagte er und vermied
Elaines vorwurfsvollen Blick. »Ich möchte mir doch noch
Robby Palmer ansehen«, meinte er leise. Aber Elaine wußte,
daß es mehr als das war.
Nach dem Frühstück fühlte sie sich besser. Das im
Sonnenlicht schimmernde Clark’s Harbor erschien ihr wieder
ebenso bezaubernd wie bei ihrer Ankunft. Die Erinnerung an
den toten Fischer und den verrenkten Kadaver am Strand trat in
den Hintergrund, und Elaine konnte sich durchaus vorstellen,
hier ein Jahr zu verbringen. Schließlich ertranken Fischer
häufiger, und daß sie ausgerechnet Augenzeugen eines solchen
Vorfalls waren, hatte nichts Besonderes zu bedeuten. Es war
eben ein unglücklicher Zufall…
Rebecca Palmer parkte den verbeulten Minibus vor dem
Gebäude, das ihr Mann renovierte. Zunächst dachte sie, er wäre
gar nicht anwesend, doch dann hörte sie aus dem hinteren
Zimmer Hammerschläge und rief seinen Namen.
»Ich bin hier hinten«, antwortete er, und sie hörte am Klang
seiner Stimme, daß er nicht nach vorn kommen würde. Rasch
umrundete sie ein halbfertiges Ausstellungsregal und betrat
eine Art Alkoven, der als Büro gedacht war.
»Dieses Miststück will einfach nicht passen«, empfing Glen
sie grinsend. Er verabreichte dem Bord noch einen
vorwurfsvollen Schlag, bevor er den Hammer zur Seite legte.
»Wenn du vorher Maß nehmen würdest, könnte das nicht
passieren«, meinte Rebecca. Sie griff nach dem Hammer, löste
das Bord von der Wand und nahm Maß. Darauf maß sie auch
die Nische aus, für die es bestimmt war, legte dann das Brett
über zwei Böcke, setzte die Säge an und verkürzte es um drei
Millimeter. Augenblicke später war es fest und sicher am
vorgesehenen Ort eingepaßt. Glen warf seiner Frau einen
bewundernden Blick zu.
»Ich wußte gar nicht, daß du so was kannst.«
»Du hast mich ja nie gefragt. Vielleicht solltest du dich in
Zukunft ums Haus kümmern und ich übernehme das
Renovieren.«
»Dann hätten die hier in Clark’s Harbor wieder etwas zum
Tuscheln, nicht wahr? Willst du Kaffee?« Ohne die Antwort
abzuwarten, goß Glen zwei Tassen ein. Er zwinkerte Rebecca
zu: »Aufgebrüht mit echtem Strom«, neckte er sie. »Übrigens –
dein letzter Schub Töpfereien ist ohne einen Sprung aus dem
Ofen gekommen. Mit ein bißchen Glück werde
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