Am Strand des Todes
ermordet worden? Und uns würden
sie auch kriegen… Sie muß verrückt sein!«
»Sie ist etwas durcheinander«, meinte Rebecca voller
Mitgefühl. »Menschen sagen seltsame Dinge, wenn ihnen so
etwas passiert. Es muß schrecklich für sie gewesen sein, dort
unten am Kai, als sie ihn hereinbrachten.«
»Aber warum ist sie hierher gekommen?« wunderte sich
Glen. »Warum kam sie zu uns und erzählt uns so etwas?«
»Wer weiß?« meinte Rebecca achselzuckend. Aber sie
wünschte nichts sehnlicher, als den Grund dafür zu wissen.
Miriam Shelling ging mit energischen Schritten über den
Gehweg. Sie sprach mit sich selbst und schien niemand
wahrzunehmen. Die wenigen, die ihr entgegenkamen, traten
zur Seite, wobei unklar blieb, ob es aus Angst oder aus Respekt
vor ihrem Kummer geschah. Sie kam an das kleine Rathaus, in
dem sich auch die Polizeistation befand. Ohne auch nur einen
Augenblick innezuhalten, schritt sie die Stufen hinauf und
verschwand in dem Gebäude. Einen Augenblick später stand
sie vor Harney Whalens Schreibtisch. »Was werden Sie
unternehmen?« fragte sie.
Harney Whalen stand auf und kam mit ausgestreckter Hand
um den Tisch herum. Miriam Shelling ignorierte die Geste.
Starr und mit wildem Blick stand sie vor ihm.
»Miriam«, setzte Whalen an, der ihren Zustand durchaus
bemerkte. Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich, daß
niemand in der Nähe war. »Wollen Sie nicht Platz nehmen?«
Sie schien ihn nicht zu hören. »Was werden Sie
unternehmen?« fragte sie erneut.
Whalen hielt es für das Beste, das Ganze wie eine
Routinesache zu behandeln. Er ging zu seinem Platz hinter dem
Schreibtisch zurück, setzte sich und fixierte die Frau. »Ich bin
mir nicht sicher, was Sie meinen«, sagte er ruhig.
»Pete, ich meine Pete. Was werden Sie unternehmen, um die
Leute zu finden, die ihn ermordet haben?«
In Harney Whalen wurde eine undeutliche Erinnerung wach,
und ein leichtes Frösteln kroch sein Rückgrat hinauf, bis es
sich in seinem Nacken festsetzte. Da war eine andere Frau
gewesen, vor langer Zeit. Auch sie hatte gefragt: »Wer hat ihn
getötet?« Und dann, einige Tage später… Er versuchte, die
quälende Erinnerung beiseite zu schieben.
»Niemand hat Pete getötet, Miriam«, sagte er beherrscht.
»Es war ein Unfall. Er ist über Bord gefallen und verfing sich
in seinen Netzen.«
»Er wurde ermordet.«
Harney schüttelte bekümmert den Kopf, teils wegen der Frau
vor ihm, teils wegen der Schwierigkeiten, in die sie ihn bringen
konnte. »Dafür gibt es nicht das geringste Anzeichen, Miriam.
Ich habe mir gestern nachmittag das Boot persönlich
angesehen. Zusammen mit Chip Connor war ich fast zwei
Stunden lang an Bord der ›Sea Spray‹. Hätte es auch nur den
geringsten Hinweis gegeben, wir hätten ihn gefunden.«
»Was ist mit dem Mann, der ihn hereingebracht hat?«
»Er ist Rechtsanwalt in Aberdeen. Letzte Nacht, als Pete
ertrank, lag er zu Hause in seinem Bett. Sie können sicher sein,
daß wir das genau überprüft haben.«
Als Miriam keine Anstalten zum Gehen traf, machte Harney
einen letzten Versuch, ihr das Geschehen verständlich zu
machen.
»Miriam, Sie haben hier jetzt fünfzehn Jahre gelebt«, setzte
er an, »Sie wissen doch, wie das so ist. Immer wieder ertrinkt
einer der Fischer. Wir haben verdammtes Glück gehabt, daß es
nicht noch mehr erwischt hat. Aber unsere Jungs hier sind sehr
vorsichtig. Sie sind alle hier aufgewachsen, Pete nicht. Und
keiner von ihnen würde allein hinausfahren. Die Stürme hier
ziehen völlig überraschend auf – und sie sind heimtückisch.
Das hat auch Pete gewußt. Er hätte niemals allein hinausfahren
dürfen. Es war ein Unfall, Miriam, nichts anderes.«
»Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?« fragte Miriam
schwerfällig. »Sie werden also nichts weiter unternehmen?«
»Ich weiß nicht, was ich noch tun könnte, Miriam. Pete war
ganz allein da draußen, und keiner hat gesehen, was geschehen
ist.«
»Jemand hat’s gesehen«, sagte Miriam ruhig, »jemand war
da draußen, als es geschehen ist.«
»Wer?« fragte Whalen nachsichtig.
»Das herauszufinden ist Ihr Job.«
»Ich habe getan, was ich konnte, Miriam. Ich habe mit jedem
der Fischer gesprochen, und sie haben alle dasselbe gesagt. Sie
sind zusammen rausgefahren, und sie sind zusammen
zurückgekommen, außer Pete. Er blieb allein draußen, als die
übrigen zum Hafen zurückfuhren. Der Sturm zog bereits
herauf, und er hätte mit ihnen hereinkommen sollen. Aber er tat
es nicht. Das ist alles, was
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