Am Strand des Todes
Fremden.«
Robby und Missy starrten sich erschrocken an und begannen
dann gleichzeitig davonzulaufen. Die brüllende Brandung
dröhnte in ihren Ohren und der Wind zerrte an ihren Kleidern,
während sie in wilder Panik nach Hause hasteten.
Mac Riley blickte ihnen nach, bis die Nacht sie verschlungen
hatte. Dann verschwand auch er wieder in dem dichten Gehölz.
Aber hinter ihm, am halbmondförmigen Strand, bewegte
sich etwas. Es war schattenhaft, fast formlos in der tosenden
Finsternis.
4
Elaine Randall wachte am nächsten Morgen früh auf; einen
Augenblick lang wußte sie nicht, wo sie war. Sie lag ruhig
neben ihrem Gatten und starrte zur Decke hinauf, während sie
sich zu orientieren versuchte. Das Tuten eines Schiffshorns
brachte sie in die Realität zurück. Neben ihr bewegte sich Brad
im Schlaf. Er drehte sich um und begann sofort wieder leise
weiterzuschnarchen. Elaine stand auf und trat ans Fenster.
Der Sturm war nach Osten abgezogen, und im strahlenden
Morgenlicht schien ihr Clark’s Harbor zuzunicken. Sie
beobachtete einen kleinen Trawler, der langsam davon
tuckerte. Als ihr der Sturm der vergangenen Nacht einfiel,
bekam sie Lust auf einen Strandbummel. Sie zog sich rasch an
und schlüpfte aus dem Zimmer. Unten beim Empfang begrüßte
sie derselbe kleine Mann, der gestern ihre Anmeldung
entgegengenommen hatte, mit einem freundlichen Kopfnicken.
Sie erwiderte sein Lächeln und trat rasch durch die Vordertür
in die frische Seeluft hinaus. Fröstelnd zog sie ihren Sweater
enger um sich.
Die Straße lag verlassen. Elaine überquerte sie und ging an
der Hafenmauer entlang zum Pier. Die Erinnerung an den toten
Fischer stieg in ihr hoch. Hastig kletterte sie die wenigen
Stufen zum Strand hinab. Doch bald mußte sie erkennen, daß
hier wohl kaum etwas zu finden war, dafür lag der kleine
Hafen viel zu geschützt. Während sie auf die Nordspitze der
Bucht zuging, genoß sie das sanfte Plätschern der Wellen und
die immer wärmer werdende Morgensonne. Der wolkenlose
Himmel über ihr war genauso blau wie das Meer, über das eine
leichte Brise strich.
Sie umrundete die Landspitze und sah eine mit Felsbrocken
durchsetzte Küste voller Treibholz vor sich. Der unebene
Grund ließ sie ihre Schritte verlangsamen. Ab und zu blieb sie
stehen, um zwischen dem Treibholz nach diesen unglaublich
blauen Glaskugeln zu suchen. Doch jedesmal wurde sie
enttäuscht. Sie tröstete sich aber damit, daß das Suchen allein
schon spannend genug war.
Vierzig Minuten später erreichte sie eine weitere Landspitze.
Nördlich davon wechselte die Landschaft völlig. Elaine sah
einen herrlichen unberührten Strand vor sich. Der sanft
geschwungene Halbmond aus Sand wurde durch zwei kleine
Rinnsale geteilt, die auf ihrem Weg zum Meer den Strand
durchschnitten. Am anderen Ende des Halbmonds erkannte sie
mit Mühe eine kleine Hütte, die fast in den Bäumen eines
Gehölzes verschwand. Ihr sehr viel näher stand ein baufälliges
altes Haus, dessen hölzerne Fassade durch Wind und
Seewasser eine silbern glänzende Patina angesetzt hatte. Der
Eindruck der Verlassenheit stellte für Elaine eine große
Versuchung dar, doch der Sinn des Städters für das, was sich
gehört, hielt sie zurück. Sie mußte Brad unbedingt von diesem
Haus erzählen. Er wußte immer genau, wie man sich in solchen
Fällen zu verhalten hatte und tat Dinge, die sie sich nie getraut
hätte. Wenn sie ihm alles nur interessant genug schilderte,
würde er wahrscheinlich von sich aus vorschlagen, hier ein
bißchen herumzuspionieren.
Sie ging an der Wasserlinie entlang, wobei sie hie und da in
einem der Seetanghaufen stocherte, die von der Flut angespült
worden waren. Schließlich gab sie die Suche auf und ging
weiter hinauf zu der zwischen dem Strand und dem Gehölz
liegenden Barriere aus Treibholz. Vorsichtig kletterte sie über
das Gewirr aus Stämmen und Ästen, mit den Augen ständig auf
der Suche nach verborgenen Schätzen aus dem Meer. Doch
außer verrosteten Bierdosen, alten Reifen und Netzfetzen
entdeckte sie nichts.
Auf halbem Weg zu dem Gehölz setzte sie sich auf einen
Stamm und blickte aufs Meer hinaus. Die leichte
Morgenbrandung brach sich auf dem sanften Gefälle vom
Horizont bis zum Strand siebenmal, wie sie zählte. Lange saß
sie so und hörte nichts als das rhythmische Anbranden des
Meeres, bis alle Ängste dieser Nacht von ihr abgefallen waren.
Die stille Heiterkeit des einsamen Strandes nahm sie in sich
auf, und sie stellte sich vor, wie es sein
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