Am Strand des Todes
doch
besser, sofort diesen ungastlichen Ort und seinen brutalen
Polizeichef hinter sich zu lassen, rauf an den Highway zu
gehen und per Autostopp zurückzufahren? Trotz der
Warnungen des Polizisten? Er wußte, daß das nicht ging.
Er mußte in Clark’s Harbor bleiben; und er mußte Max
finden. Während der Regen ihm ins Gesicht schlug, versuchte
er sich zum wiederholten Male einzureden, daß Max vielleicht
doch nicht an Bord der ›Osprey‹ war, und er ihn unversehrt
wiedersehen würde. Aber in seinem Innern wußte er, daß das
nicht stimmte. Max war nicht unversehrt
– es gab keine
Hoffnung mehr.
Glen Palmer zitterte innerlich noch vor Wut, als er in den
Regen hinaustrat. Auf dem Weg zum Hafen hinab kam ihm
plötzlich der Gedanke, daß Rebecca ihn vielleicht abholen
kommen könnte – aber nein, sie würde die Kinder bestimmt
nicht alleinlassen. Dann kam ihm Chip Connor in den Sinn.
Wenn er an der Straße entlangging, würde er ihm vielleicht
entgegenkommen und ihn nach Hause fahren. Er drehte wieder
um und ging die Hafenstraße hinauf zum Highway. Als er die
Kreuzung fast erreicht hatte, kamen ihm aus nördlicher
Richtung zwei Scheinwerfer entgegen. Glen trat auf die Straße
und winkte. Der Wagen kam neben ihm zum Stehen.
»Steigen Sie ein«, forderte Chip ihn auf, »ich bin so spät
dran, daß es auf ein paar Minuten auch nicht mehr ankommt.
Hat Harn schon nach mir gefragt?«
Nachdem Glen eingestiegen war, machte Chip eine
Wendung von hundertachtzig Grad und fuhr zurück nach
Norden. Glen bat den Polizisten um eine Zigarette.
»Ich hab’s vor ein paar Jahren aufgegeben, aber nach dem,
was heute geschehen ist, brauch’ ich einfach eine«, erklärte er,
während er sie ansteckte.
Chips Blick streifte ihn von der Seite.
»Falls Sie sich über Whalen auslassen wollen, wäre ich
Ihnen dankbar, wenn Sie das erst daheim bei Ihrer Frau tun
würden«, meinte er mit Nachdruck.
»Was soll das heißen?« wollte Glen wissen.
»Ach, verdammt, weiß ich auch nicht!« erwiderte Chip mit
einem Grinsen. »Sie hätten sich viel ersparen können, wenn Sie
heute abend nicht den guten Nachbarn markiert hätten«, meinte
er dann versöhnlicher.
»Rebecca hat Ihnen gesagt, wo ich war?«
»Ich habe Sie gefragt – aber brausen Sie nicht gleich wieder
auf, ich hab’ ihr gesagt daß es ihr freisteht, meine Fragen zu
beantworten.«
»Und warum haben Sie sie überhaupt befragt?«
»Nur für den Fall der Fälle«, sagte Chip, während er vom
Highway auf den schmalen Pfad zum Häuschen der Palmers
abbog. Er fuhr so nahe heran, wie es ging, und stellte den
Motor ab. »Ich komm’ nicht mehr mit rein. Ich muß so rasch
wie möglich zurück in den Ort, um Harn zu besänftigen.« Er
schwieg einen Augenblick, und Glen wollte sich gerade
verabschieden, als er erneut ansetzte. »Glen?« Der
Angesprochene wandte sich wieder dem Polizisten zu. »Ich
weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber ich mag Sie und Ihre
Frau. Deshalb wollte ich auch nicht, daß Sie Harney vor mir
bloßstellen. Ich kann mir vorstellen, was es gegeben hat, und
ich fürchte, es ist auch noch nicht vorbei.« Er schien sich seiner
Sache plötzlich doch nicht mehr so sicher zu sein, fuhr dann
aber fort. »Deshalb wollte ich auch Rebeccas Darstellung
hören, bevor Sie mit ihr sprechen konnten. Versuchen Sie
vernünftig zu sein! Ich weiß, daß Harney ein schwerer Brocken
ist, vor allem, wenn er einen nicht schon seit Jahren kennt.
Aber er ist trotzdem fair. Ich weiß, daß Sie das nicht glauben
können – aber es ist so. Zumindest gibt er sich Mühe…«,
schloß Chip, während er die beschmutzten Bilder von heute
morgen vor sich sah.
Glen hatte fast unbewußt den Atem angehalten, als er dem
anderen zuhörte. Jetzt klang es fast wie ein Seufzer, als er
antwortete. »Ich weiß einfach nicht…« Ein etwas erzwungenes
Auflachen. »Aber wahrscheinlich bleibt mir sowieso keine
andere Wahl.« Er streckte dem Polizisten die Hand hin. »Ich
verhalte mich ruhig und gesittet und warte ab, was passiert,
versprochen. Und vielen Dank fürs Absetzen – und für alles
andere.«
Die beiden Männer schüttelten sich die Hände, und Glen
stieg aus.
Der Regen hatte etwas nachgelassen. Er blickte noch einen
Augenblick den Schlußlichtern des Polizeiautos nach, bevor er
ins Haus trat.
Rebecca sprang auf und warf ihm die Arme um den Hals.
»Was war denn nur los? Großer Gott, Glen, was ist denn
geschehen?«
»Wenn ich das wüßte«, meinte Glen leise, während er sie an
sich drückte.
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