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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Schlafzimmerfenster boten alle denselben Ausblick auf Hotelrasen, Gestrüpp und Meer. Dann drehte der Wind, oder die Flut setzte ein, vielleicht lag es auch am Kielwasser eines vorbeifahrenden Schiffes, jedenfalls hörten sie plötzlich, wie sich die Wellen in schnellerer Folge brachen und hart an den Strand klatschten. Ebenso unvermittelt aber ebbten sie auch wieder ab und klimperten aufs neue leise über den Kies.
    Florence legte einen Arm um Edwards Schulter. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«
    »Ja.«
    Sie griff mit Daumen und Zeigefinger nach seinem Ohrläppchen, zog seinen Kopf sanft zu sich herab und flüsterte: »Ehrlich gesagt, ich hab ein bißchen Angst.«
    Strenggenommen war das nicht ganz korrekt, aber sosehr sie auch nachdachte, sie hätte die Vielzahl ihrer Empfindungen doch nie beschreiben können: ein mulmiges Gefühl, als würde sie innerlich vertrocknen und schrumpfen, ein unbestimmter Widerwille gegen das, was ihr womöglich abverlangt werden würde, sowie Scham bei dem Gedanken, ihn zu enttäuschen und als Betrügerin entlarvt zu werden. Sie konnte sich selbst nicht leiden, und noch während sie ihm ins Ohr flüsterte, war ihr, als spielten sie Theater und ein Bösewicht zischte ihm die Worte zu. Immerhin war es besser zu behaupten, sie fürchtete sich, als ihm ihre Scham oder ihren Ekel zu gestehen. Sie mußte versuchen, seine Erwartungen möglichst zu dämpfen.
    Er schaute sie an, doch verriet nichts an seiner Miene, daß er sie gehört hatte. Selbst in ihrer vertrackten Lage staunte sie über seine sanft blickenden, braunen Augen. Welch verständnisvolle Klugheit. Wenn sie sich in seinen Blick versenkte und sonst nichts sah, könnte sie vielleicht tun, worum er sie bitten würde. Sie wollte ihm bedingungslos vertrauen. Doch das war bloßes Wunschdenken.
    Endlich erwiderte er: »Ich glaub, ich auch«, doch während er das sagte, legte er ihr eine Hand direkt übers Knie, ließ sie unter den Kleidersaum gleiten und drang auf der Innenseite ihres Schenkels nach oben vor, bis sein Daumen das Höschen berührte. Ihre Beine waren nackt, die glatte Haut gebräunt vom Sonnen im Garten, vom Tennisspiel mit ihren Freundinnen auf den Plätzen in Summertown und den zwei langen Picknicknachmittagen mit Edward auf den blumenübersäten Hügeln oberhalb des hübschen Dörfchens Ewelme, wo Chaucers Enkelin begraben liegt. Sie hörten nicht auf, sich in die Augen zu sehen - darin waren sie gut. Florence spürte seine Berührung so deutlich, die Wärme und den Druck seiner verschwitzten Hand auf ihrer Haut, daß sie sich den langen, gekrümmten Daumen im bläulichen Dämmer unter ihrem Kleid vorstellen, daß sie ihn sehen konnte, wie er da lag, geduldig wie ein Rammbock vor den Stadtmauern, der kurzgeschnittene Nagel, der über die cremefarbene, vom Gummizug leicht gekräuselte Seide fuhr und sogar - das wußte sie genau, sie konnte es deutlich spüren - ein vorwitziges, gekräuseltes Haar berührte.
    Mit aller Kraft versuchte sie zu verhindern, daß ein Muskel in ihrem Bein zitterte, aber es geschah ganz ohne ihr Zutun, von allein, so unvermeidlich und unwillkürlich wie ein Niesanfall. Er tat nicht weh, wie er sich da zusammenzog und in milden
    Krämpfen zuckte, dieser verräterische Muskel, und doch fühlte sie sich von ihm im Stich gelassen und begann zum ersten Mal, das wahre Ausmaß ihres Problems zu erahnen. Edward mußte den kleinen Sturm unter seiner Hand gespürt haben, denn seine Augen weiteten sich, und seine hochgezogenen Brauen, die lautlos geöffneten Lippen verrieten ihr, daß er beeindruckt war und fast ein wenig einschüchternd fand, was er für den Aufruhr ihrer Begierde hielt.
    »Flo ...?« Er sprach ihren Namen vorsichtig aus, leiser und dann wieder lauter werdend, so als wollte er sie beschwichtigen oder verhindern, daß die Dinge sich überstürzten. Er hatte nämlich selbst einen kleinen Sturm zu bändigen. Sein Atem ging flach und unregelmäßig, und immer wieder löste er mit leise schmatzendem Laut die Zunge vom Gaumen.
    Manchmal ist es beschämend, wie wenig der Körper die Gefühle verheimlichen kann oder will. Wer hätte schon jemals aus Anstands gründen den Herzschlag zu verlangsamen vermocht oder ein Erröten verhindert? Der eigenwillige Muskel zuckte und flatterte wie eine unter der Haut gefangene Motte. Ein ähnliches Problem hatte Florence manchmal mit ihren Augenlidern. Aber vielleicht legte sich der Aufruhr ja bald wieder, sie war sich da nicht sicher. Es half

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