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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Er selbst beschwor nie derartige Situationen herauf, doch kam es dazu, kostete er sie aus - die Anwürfe, Freunde, welche die Streitenden zurückzuhalten versuchten, das Einnehmen der Kampfhaltung, den blanken Zorn seines Gegners. Er wurde dann wie taub, schien Scheuklappen zu tragen und fand sich unvermittelt in einem Reich vergessener Lust wieder, einem wiederkehrenden Traum. Wie bei einem studentischen Trinkgelage überfiel ihn der Jammer erst hinterher. Er war kein großartiger Boxer, dafür aber verwegen, was die Einsätze in die Höhe trieb. Außerdem war er stark.
    Florence hatte noch nie erlebt, wie es war, wenn er einen Koller bekam, und er dachte auch nicht daran, mit ihr darüber zu reden. Seit achtzehn Monaten war er in keine Prügelei mehr geraten, seit Januar 1961 nicht mehr, dem vorletzten Trimester. Der Vorfall war etwas ungewöhnlich gewesen, da Edward zwar als erster handgreiflich geworden war, aber doch einen Anlaß dazu gehabt und sich im Recht gefühlt hatte. Er lief mit Harold Mather, einem Kommilitonen, die Old Compton Street entlang zum French Pub in der Dean Street. Es war noch früh am Abend; sie kamen gerade aus der Bibliothek in der Malet Street und wollten sich mit einigen Freunden treffen. In Edwards Gymnasium wäre Mather das ideale Opfer gewesen - er war klein, kaum einsfünfundsechzig, trug eine dicke Brille im komisch zerknautschten Gesicht, redete unentwegt und war unglaublich schlau. An der Universität schien er in seinem Element und genoß ho-hes Ansehen. Er hatte eine große Plattensammlung mit Jazzmusik, gab ein Literaturmagazin heraus, und die Zeitschrift Encounter hatte eine Kurzgeschichte von ihm angenommen, wenn auch noch nicht veröffentlicht; im Debattierklub war er zum Schreien komisch und ein ziemlich guter Imitator -so konnte er Macmillan nachmachen, Gaitskell, Kennedy, Chruschtschow mit Phantasierussisch, ein paar afrikanische Stammesführer und Komiker wie AI Read und Tony Hancock. Er ahmte ihre Stimmen nach, spielte Sketche aus Beyond the Fringe und galt als der mit Abstand beste Student im historischen Seminar. Edward rechnete es sich als Fortschritt in seinem Leben an, als Beweis seiner neuen Reife, daß er die Freundschaft mit einem Mann schätzte, dem er früher wohl aus dem Weg gegangen wäre.
    An einem Winterabend mitten in der Woche war in Soho am frühen Abend noch nicht viel los. Die Kneipen waren voll, die Klubs hatten noch nicht geöffnet, die Bürgersteige waren leer. Das Paar, das ihnen auf der Old Compton Street entgegenkam, war kaum zu übersehen. Rocker - er ein großer Kerl Mitte Zwanzig mit langen Koteletten, Nietenlederjacke, in engen Jeans und Stiefeln; seine pummelige Freundin, die sich bei ihm untergehakt hatte, war ähnlich angezogen. Ohne auch nur innezuhalten, holte der Mann im Vorbeigehen mit dem Arm aus und hieb Mather die flache Hand auf den Hinterkopf, so daß Edwards Freund ins Taumeln geriet und seine Buddy-Holly-Brille quer über die Straße flog. Es war ein beiläufiger Schlag voller Verachtung für Mathers Körpergröße, sein studentisches Aussehen oder dafür, daß er jüdisch aussah und auch Jude war. Vielleicht wollte der Rocker sein Mädchen beeindrucken oder es zum Lachen bringen. Edward blieb jedenfalls nicht stehen, um darüber nachzudenken. Während er dem Paar hinterherlief, hörte er Harold etwas wie »Nein« oder »Tu’s nicht« rufen, aber das war genau die Art Bitte, für die er jetzt taub war. Er befand sich wieder in jenem Traum und hätte Mühe gehabt, seinen Zustand zu beschreiben: Die Wut verselbständigte sich und steigerte sich bis zur Ekstase. Mit der Rechten griff er dem Mann an die Schulter und wirbelte ihn herum, mit der Linken packte er ihn am Hals und schleuderte ihn gegen die Wand. Der Kopf schlug mit einem befriedigenden Krachen an ein gußeisernes Fallrohr. Immer noch den Hals seines Gegners umklammernd, schlug Edward ihm ins Gesicht, einmal nur, aber mit der ganzen Kraft seiner geballten Faust. Dann ging er zurück und half Mather, die Brille zu suchen; eines der Gläser hatte einen Sprung. Sie gingen weiter und ließen den Rocker auf dem Bürgersteig sitzen, beide Hände vor dem Gesicht; seine Freundin kümmerte sich um ihn.
    Erst am Abend fiel Edward auf, daß Harold Mather sich nicht einmal bei ihm bedankt hatte, danach bemerkte er sein Schweigen, zumindest ihm gegenüber, und er brauchte noch länger, ein oder zwei Tage, um zu begreifen, daß sein Freund nicht nur mißbilligte, was er getan hatte,

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