Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
Vom Netzwerk:
der Cellist, eitel, wie er war, für das Stück, und bald erlagen auch die übrigen Musiker seinem Zauber. Wer hätte ihm schon widerstehen können? Die Zerreißprobe aber, vor die jenes Stück zu Beginn das Ennismore-Quartett stellte, dessen Name sich übrigens von der Adresse des Wohnheims herleitete, war durch den entschlossenen Widerstand von Florence, sie allein gegen drei, wie dem Beharren auf ihrem sicheren Urteil bald überwunden.
    Während sie, noch mit dem Rücken zu Edward und weiterhin auf Zeit spielend, durch das Schlafzimmer ging, um die Schuhe ordentlich an der Garderobe abzustellen, erinnerten sie diese vier Töne an jene Florence, die im Quartett den Ton angab, die kühl ihren Willen durchsetzte und sich niemals brav den Erwartungen fügte. Sie war kein Lamm, das sich klaglos abschlachten - oder penetrieren -ließ. Sie würde darüber nachdenken, was genau sie von ihrer Ehe erwartete, um es Edward dann mitzuteilen, und anschließend würden sie sich auf einen Kompromiß einigen. Was der eine ersehnte, konnte nicht auf Kosten des anderen verwirklicht werden. Es ging darum, sich zu lieben und miteinander frei zu sein. Ja, sie mußte ein Machtwort sprechen, so wie sie es bei den Proben tat, und sie würde es jetzt sofort sprechen müssen. Sie ahnte sogar schon, welchen Vorschlag sie ihm machen wollte, öffnete die Lippen und holte tief Luft. Dann aber hörte sie eine Diele knarren, drehte sich um, sah ihn auf sich zukommen, lächelnd, mit errötetem Gesicht, und die rettende Idee - als hätte sie nie ganz ihr selbst gehört - war wie weggeblasen.
Ihr schönes Kleid aus kornblumenblauem Baum-wolls
Kritiker der Times begrüßte das »frische Blut in der Musikszene

Ihr schönes Kleid aus kornblumenblauem Baum-wollsatin, das perfekt zu ihren Schuhen paßte, hatte sie - zum Glück ohne ihre Mutter - erst nach vielen auf den Gehwegen zwischen Regent Street und Marble Arch verbrachten Stunden entdeckt. Als Edward sie nun an sich zog, geschah das nicht, um sie zu küssen, sondern um ihren Körper an sich zu drücken, während eine Hand in ihrem Nacken nach dem Reißverschluß tastete. Die andere Hand preßte er ihr flach und fest ins Kreuz und flüsterte ihr dabei etwas ins Ohr, so laut und so nah, daß sie nur einen Schwall warmer, feuchter Luft spürte. Aber der Reißverschluß ließ sich nicht mit einer Hand öffnen, jedenfalls nicht auf den ersten zwei, drei Zentimetern. Man mußte das Kleid mit einer Hand oben festhalten und mit der anderen ziehen, da der leichte Stoff sonst Falten warf und der Reißver-schluß klemmte. Florence hätte über die Schulter langen und ihm helfen können, aber ihre Arme waren eingezwängt; außerdem fand sie es nicht richtig, daß sie ihm zeigte, was er zu tun hatte. Schließlich wollte sie seine Gefühle nicht verletzen. Mit einem ungeduldigen Seufzer zog er noch fester und versuchte es mit Gewalt, hatte aber längst erreicht, daß sich der Reißverschluß weder vor noch zurück bewegen ließ. Vorläufig war sie in ihrem Kleid gefangen.
    »Mein Gott, Flo, jetzt halt doch mal still.«
    Gehorsam erstarrte sie, erschrocken über die Ungeduld in seiner Stimme und unwillkürlich davon überzeugt, daß sie die Schuld trug. Schließlich war es ihr Kleid, ihr Reißverschluß. Bestimmt würde es helfen, dachte sie, wenn sie sich von ihm löste, ihm den Rücken zudrehte und ans Fenster ins Licht ging. Aber das könnte gefühllos wirken, und das Problem würde dadurch eine viel zu große Bedeutung erlangen. Daheim verließ sie sich auf ihre Schwester, die trotz ihres kläglichen Klavierspiels sehr geschickte Finger hatte. Der Mutter fehlte für so etwas die Geduld. Armer Edward - an ihren Schultern spürte sie die Muskeln in seinen Armen zittern, während er beide Hände einsetzte, und sie stellte sich vor, wie seine dicken Finger zwischen gerafftem Stoff und widerspenstigem Metall herum-fummelten. Er tat ihr leid, und ein bißchen fürchtete sie sich auch vor ihm. Selbst der leiseste Hinweis könnte ihn jetzt noch mehr verärgern. Also harrte sie geduldig aus, bis er sie schließlich mit einem Stöhnen freigab und einen Schritt zurücktrat.
    Dabei war er ganz zerknirscht. »Tut mir leid, er klemmt. Ich stelle mich wirklich furchtbar ungeschickt an.«
    »Das ist mir auch schon oft passiert, Liebling.«
    Sie setzten sich nebeneinander auf das Bett. Er lächelte, um ihr zu zeigen, daß er ihr zwar nicht glaubte, ihre Bemerkung aber zu schätzen wußte. Die weit geöffneten

Weitere Kostenlose Bücher