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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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jedenfalls, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, und so machte sie sich mit blöder Deutlichkeit klar: Seine Hand war dort, weil er ihr Mann war; und sie ließ sie dort, weil sie seine Frau war. Einige ihrer Freundinnen - Greta, Hermione, vor allem Lucy - wären schon seit Stunden nackt im Bett und hätten die Ehe lang vor der Hochzeit lautstark und mit Freuden vollzogen. Wohlmeinend und großzügig, wie sie waren, glaubten sie, Florence habe genau dies ebenfalls längst getan. Dabei hatte sie ihnen nie etwas vorgemacht, sie allerdings auch nie eines Besseren belehrt. Bei dem Gedanken an ihre Freundinnen aber trat ihr das eigene Schicksal deutlich vor Augen: Sie war allein.
    Edwards Hand rückte nicht weiter vor - was von ihm ausgelöst worden war, hatte ihn sicher entmutigt -, sie fuhr nur leicht auf und ab und knetete ihren Oberschenkel. Vermutlich war das der Grund, weshalb die Krämpfe nachließen, doch sie achtete kaum noch darauf. Es mußte ein Zufall sein, denn wie konnte er wissen, daß, während seine Hand ihr Bein befingerte, die Daumenspitze gegen jenes einsame Haar stieß, das unter dem Gummiband ihres Höschens hervorlugte, es vor und zurück wippen ließ, seine Wurzel erregte und entlang des Haarbalgnervs die bloße Ahnung eines Gefühls weckte, ein fast abstrakter Anfang, so unendlich klein wie ein geometrischer Punkt, der zu einem winzigen Fleck anschwoll, dessen Ränder immer weiter zerflossen. Sie zweifelte und verleugnete noch, was ihr passierte, als sie längst spürte, wie sie sich ihrer Empfindung überließ, sich ihr innerlich entgegenbog. Wie konnte eine einzelne Haarwurzel den ganzen Körper beherrschen? Im steten Rhythmus seiner liebkosenden Hand breitete sich die Empfindung von jenem einzelnen Punkt über ihre ganze Haut aus, ihren Bauch, bis hinab zum Perineum. Das Gefühl war ihr nicht gänzlich unvertraut - irgend etwas zwischen Schmerz und Juckreiz, nur sanfter, wärmer und auch leerer; eine angenehm schmerzliche, von einem rhythmisch erregten Haarbalg ausgehende Leere, die sich in konzentrischen Wellen über ihren Körper ausbreitete und stetig tiefer vordrang.
    Zum ersten Mal verknüpfte sich ihre Liebe zu Edward mit einem eindeutig körperlichen Gefühl, so unabweisbar wie Höhenangst. Zuvor hatte sie nur einen tröstlichen Eintopf aus warmen Emotionen gekannt, eine dicke Winterdecke aus Freundlichkeit und Vertrauen. Das war ihr immer genug und als solches schon wie ein Erfolg vorgekommen. Nun aber spürte sie endlich den Beginn eines Verlangens, präzise und fremd, doch eindeutig ihr ureigenes Empfinden; und außerdem, als schwebte sie über und gleich hinter ihr, knapp außer Sichtweite, war da die Erleichterung, weil sie nun genau wie alle anderen war. Als spätentwickelte Vierzehnjährige, die verzweifelt registrierte, daß all ihren Freundinnen Brüste wuchsen, während sie selbst noch wie eine großgewachsene Neunjährige aussah, hatte sie an jenem Abend vor dem Spiegel einen ähnlichen Augenblick der Offenbarung erlebt, als sie zum ersten Mal um ihre Brustwarzen eine neue, kompakte Schwellung ertastete. Wäre ihre Mutter unten nicht mit den Vorbereitungen für eine Spinoza-Vorlesung beschäftigt gewesen, hätte Florence vor Freude laut gejubelt. Es ließ sich nicht leugnen: Sie gehörte keiner separaten Subspezies der menschlichen Rasse an. Triumphierend kehrte sie in den Schoß der Allgemeinheit zurück.
    Florence sah ihm immer noch in die Augen. Reden kam offenbar nicht mehr in Frage, also tat sie, als geschähe nichts - als wäre seine Hand nicht unter ihrem Kleid, kitzelte sein Daumen nicht ein einzelnes Schamhaar und machte sie keine überwältigende sinnliche Erfahrung. Hinter Edwards Kopf sah sie einen Ausschnitt ihrer unmittelbaren Vergangenheit - die offene Tür, den Eßtisch vor dem Balkon und die Reste des fast unberührten Abendessens -, doch ließ sie den Blick nicht weiterwandern. Trotz des angenehmen Gefühls und ihrer Erleichterung blieb eine Besorgnis, eine hohe Mauer, die sich nicht so leicht einreißen ließ. Das hatte sie auch nicht vor. Denn ungeachtet aller neuen Erfahrung befand sie sich keineswegs in einem Zustand wilder Hemmungslosigkeit, wollte auch nicht Hals über Kopf in einen solchen getrieben werden. Sie wollte ihn auskosten, diesen Moment in der Schwebe, wollte, vollständig bekleidet, Edwards sanft blickende, braune Augen genießen, seine behutsamen Zärtlichkeiten und dieses sich ausbreitende, angenehme Gefühl. Aber sie wußte, das war

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