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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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nicht möglich, denn eines würde, wie man so sagte, unweigerlich zum anderen führen.
    Edwards Gesicht schien immer noch ungewöhnlich rot, die Pupillen waren geweitet, die Lippen offen, der Atem ging flach wie zuvor, schnell und unregelmäßig. Die Woche Hochzeitsvorbereitung, die überspannte Enthaltsamkeit, machte der Chemie seines jungen Körpers zu schaffen. Florence war so außergewöhnlich, so unwiderstehlich, daß er einfach nicht wußte, was er tun sollte. Dunkel schimmerte im schwindenden Licht das blaue Kleid, das er ihr nicht ausziehen konnte, auf dem straffen weißen Überwurf. Als er ihren Schenkel berührte, fand er die Haut erstaunlich kühl, was ihn überraschend stark erregte. Und während er Florence nun in die Augen sah, war ihm, als stürze er ihr in einem schwindelerregenden Strudel entgegen, doch fühlte er sich gleichzeitig gefangen zwischen dem Drängen seiner Lust und der Last seiner Unwissenheit. Wenn er von ein paar Filmen, Witzen und überspitzten Anekdoten einmal absah, stammte fast alles, was er über Frauen wußte, von Florence selbst. Das Beben unter seiner Hand mochte ein verräterisches Zeichen sein, von dem jeder ihm hätte sagen können, was es bedeutete und wie er darauf reagieren mußte, möglicherweise war es sogar ein Vorbote des weiblichen Orgasmus. Doch ebensogut konnten auch ihre Nerven schuld sein. Er wußte es einfach nicht, und so war er erleichtert, als das Zucken wieder verebbte. Ihm fiel ein, wie er einmal einem Bauern vorgeprahlt hatte, was er alles könne, und sich dann bei Ewelme auf einem riesigen Kornfeld am Steuer eines Mähdreschers wiedergefunden und nicht gewagt hatte, irgendeinen Hebel zu berühren. Er kannte sich einfach zu wenig aus. Einerseits war sie es gewesen, die ihn an der Hand ins Schlafzimmer geführt, die ihre Schuhe so schwungvoll ausgezogen und seine Hand dann so nahe an sich herangelassen hatte. Andererseits aber wußte er aus mühselig erworbener Erfahrung, wie schnell eine ungestüme Bewegung seine Chancen zunichte machen konnte. Dann wiederum wurden ihre kühnen Züge so sanft, während seine Hand blieb, wo sie war, und ihren Schenkel knetete, verengten sich die Augen und öffneten sich aufs neue so weit, als sie nach seinem Blick suchte und den Kopf in den Nacken legte, daß seine Vorsicht doch sicher völlig absurd war. Seine Zauderei schien ihm einfach verrückt. Sie waren verheiratet, Herrgott noch mal, und sie ermutigte ihn, drängte ihn, sehnte sich danach, daß er die Führung übernahm. Trotzdem konnte er die Erinnerungen an jene Augenblicke nicht vergessen, in denen er die Zeichen mißverstanden hatte, am schlimmsten damals im Kino, als Bitterer Honig lief und Florence von ihrem Platz aufgesprungen war, um wie eine verschreckte Gazelle in den Mittelgang zu flüchten. Allein diesen Fehler wieder auszubügeln hatte Wochen gedauert - ein Desaster, das er nicht noch einmal heraufbeschwören wollte, und er bezweifelte, daß eine vierzigminütige Hochzeitszeremonie einen derart gewaltigen Unterschied machte.
    Die Luft im Zimmer kam ihm so dünn vor, als wäre kaum welche vorhanden, jeder Atemzug verlangte eine bewußte Kraftanstrengung. Ihn überfiel ein nervöses Gähnen, das er mit gerunzelter Stirn und bebenden Nasenflügeln rasch unterdrückte, denn Florence sollte bloß nicht glauben, er langweile sich. Er litt entsetzlich darunter, daß in ihrer
    Hochzeitsnacht nicht alles glatt lief, obwohl sie sich doch so sehr liebten; und sein Gefühlschaos aus Erregung, Unwissenheit und Unentschlossenheit schien ihm dermaßen gefährlich, daß er sich selbst nicht über den Weg traute. Er war nämlich durchaus in der Lage, sich dumm und ziemlich unbeherrscht zu benehmen, konnte gelegentlich sogar richtig ausrasten, weshalb er bei seinen Studienfreunden als einer jener stillen Typen galt, die zu unberechenbaren Wutausbrüchen neigten. Seinem Vater zufolge hatte er schon als kleines Kind spektakuläre Tobsuchtsanfälle gehabt. Und auch während der Schulzeit und später im College hatte er so manches Mal die hemmungslose Freiheit eines Faustkampfs genossen. Bei den Schulhofrangeleien, um die krakeelende Kinder einen Zuschauerring bildeten, den fast feierlichen Zweikämpfen auf einer Waldlichtung nahe beim Dorf oder später bei irgendwelchen Prügeleien vor einem Pub mitten in London genoß Edward die erregende Ungewißheit des Kampfes und entdeckte dabei eine kurzentschlossene Seite an sich, die er aus seinem sonst so ruhigen Leben nicht kannte.

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