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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand
Autoren: Ian McEwan
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dort. Ein schlichtes, weiß gehaltenes Regal mit den Loeb-Ausgaben lateinischer und griechischer Klassiker nahm eine ganze Wand ein. Edward gefiel es, das Zimmer mit solch strenger Gelehrsamkeit zu teilen, doch wußte er, daß er keinem etwas vormachte, wenn er Bücher von Epiktet oder Strabo auf dem Nachttisch liegenließ. Wie überall sonst im Haus waren die Wände hier exotisch weiß gestrichen - im gesamten Anwesen der Pontings gab es keinen Fitzel Tapete, weder mit Streifen noch mit Blümchenmuster -, und der Boden bestand aus nackten, rohen Dielen. Er hatte den Dachstock ebenso für sich allein wie das geräumige Bad auf halber Treppe mit seinen viktorianischen Buntglasfenstern und den lackierten Korkfliesen, letztere ebenfalls neu und ungewohnt.
    Sein Bett war breit und überraschend hart. In einer Ecke unter der Dachschräge standen ein blankgescheuerter Holztisch mit Gelenkleuchte und ein blaugestrichener Küchenstuhl. Es gab weder Bilder noch Teppiche, keine Nippes, keine Papierschnipsel und auch sonst keine Überbleibsel irgendwelcher Freizeitbeschäftigungen. Zum ersten Mal in seinem Leben kümmerte er sich hin und wieder um ein bißchen Ordnung, denn dies war ein Zimmer, wie er noch keines gekannt hatte, eines, in dem man ruhige, klare Gedanken fassen konnte. Hier schrieb er an einem sternenklaren Novemberabend gegen Mitternacht auch jenen Brief an Violet und Geoffrey Ponting, in dem er ihnen mitteilte, daß er ihre Tochter zu heiraten beabsichtige, und er fragte nicht einmal um ihre Erlaubnis, so sicher rechnete er mit ihrer Zustimmung.
    Er hatte sich nicht geirrt. Sie schienen erfreut und feierten die Verlobung mit einem Festmahl für die ganze Familie im Randolph-Hotel. Edward war so unerfahren, daß es ihn nicht weiter überraschte, wie willkommen er im Haushalt der Pontings war. In höflicher Bescheidenheit nahm er an, als fester Freund von Florence und später dann als ihr Verlobter stünde es ihm zu, daß sein Zimmer, wenn er von Henley herübertrampte oder mit dem Zug nach Oxford fuhr, stets für ihn bereit war, daß es gemeinsame Mahlzeiten gab, bei denen seine Ansichten über die Regierung und die Weltlage gefragt waren, und ihm die Bibliothek ebenso zur freien Verfügung stand wie der Garten mit Krocketfeld und eigenem Federballplatz. Er war dankbar, aber auch nicht sonderlich erstaunt, als man sich im Haus um seine Wäsche zu kümmern begann und dank des Hausmädchens regelmäßig ein ordentlich gebügelter Kleiderstapel am Fußende des Bettes bereitlag.
    Es schien daher auch nur folgerichtig, daß Geoffrey Ponting ihn zum Tennis auf einem der Grasplätze in Summertown einlud. Edward war in diesem Sport eher mittelmäßig - sein Aufschlag, bei dem ihm seine Körpergröße zunutze kam, war ganz passabel, und manchmal konnte er von der Grundlinie einen harten Ball plazieren, dafür aber war er am Netz ungelenk und einfallslos und durfte sich auch nicht auf seine unberechenbare Rückhand verlassen, weshalb er die Bälle auf der linken Platzhälfte lieber umlief. Er fürchtete sich ein wenig vor dem Vater seiner Freundin, hatte Angst, er könnte für einen Eindringling gehalten werden, einen Hochstapler und Dieb, der es auf die Jungfräulichkeit seiner Tochter abgesehen hatte und alsbald wieder verschwinden wollte - was nur zum Teil stimmte. Als sie zum Platz fuhren, machte sich Edward außerdem um das Spiel Sorgen - zu gewinnen wäre unhöflich, aber er würde seinem Gastgeber auch bloß die Zeit stehlen, wenn er nicht in der Lage wäre, ihm anständig Paroli zu bieten. Dabei hätte er sich keine Gedanken zu machen brauchen. Ponting spielte in einer anderen Liga, schlug schnell und präzise und tänzelte für einen Fünfzigjährigen erstaunlich ausdauernd über den Platz. Den ersten Satz gewann er sechs-eins, den zweiten sechs-null, den dritten sechs-eins, verblüffend aber war seine Wut, sooft es Edward gelang, ihm einen Punkt abzuluchsen. Auf dem Weg zur Grundlinie hielt Ponting sich dann leise fluchend eine Strafpredigt, die, soweit Edward das von seiner Seite aus verstehen konnte, auch Gewaltandrohungen gegen die eigene Person enthielt. Manchmal hieb Ponting sich sogar mit dem Schläger auf die rechte Hinterbacke. Er wollte nicht bloß gewinnen, auch nicht nur haushoch, er wollte jeden einzelnen Punkt. Die zwei Spiele, die sein künftiger Schwiegervater im ersten und dritten Satz verlor, sowie die wenigen Fehler, die ihm unterliefen, ließen Geoffrey Ponting vor Wut fast aus der Haut fahren:
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