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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Interesse.
    Einige Aufgaben, die Edward freiwillig übernahm, banden ihn noch enger an die Pontings. In jenem Sommer des Jahres 1961 mähte er viele Male die großen Rasenflächen - der Gärtner war krank -, hackte drei Klafter Holz für den Schuppen, fuhr immer wieder irgendwelches Gerümpel aus der ungenutzten Garage, in der Violet einen Teil der Bibliothek unterbringen wollte, mit dem Zweitwagen, einem Austin 35, zur Mülldeponie und chauffierte mit demselben Auto - den Humber durfte er nie benutzen - Ruth, die jüngere Schwester, zu Freundinnen und Kusinen in Thame, Banbury oder Stratford und holte sie auch wieder ab. Außerdem erledigte er für Violet manchen Fahrdienst, brachte sie einmal sogar zu einem Schopenhauer-Symposion nach Winchester und wurde unterwegs wegen seines Interesses an Tausendjährigen Reichen ins Kreuzverhör genommen. Trieben Hunger und gesellschaftliche Umbrüche solchen Bewegungen die Anhänger in die Arme? Ließen sich diese Bewegungen in ihrem Antisemitismus und ihrer Kritik an Kirche und Kaufmannschaft als Frühformen eines Sozialismus russischer Prägung verstehen? Und ebenso provokant: War der Atomkrieg nicht das moderne Äquivalent zur Apokalypse im Buch der Offenbarung? Mußten uns aufgrund unserer Geschichte und unserer schuldigen Natur nicht immer Visionen von Massenvernichtung plagen?
    Nervös begann er zu reden; er wußte, daß er einer Prüfung unterzogen wurde. Während er antwortete, fuhren sie durch die Außenbezirke von Winchester. Am Rand seines Blickfeldes nahm er wahr, daß sie ein Döschen hervorgeholt hatte und sich das spitze, weiße Gesicht puderte. Ihn faszinierten ihre blassen Besenstielarme mit den kantigen Ellbogen, und ihm schoß einen Moment lang die Frage durch den Kopf, ob sie wirklich die Mutter von Florence sein konnte. Doch dann mußte er sich nicht nur auf das Fahren, sondern auch darauf konzentrieren, was er sagte. Er glaube, erklärte er, der Unterschied zwischen damals und heute sei wichtiger als jede Ähnlichkeit. Und dieser Unterschied sei der zwischen den grausigen, absurden Phantasievorstellungen eines Mystikers der Nacheisenzeit einerseits, die im Mittelalter von christlichen Gesinnungsgenossen noch ausgeschmückt wurden, sowie der begründeten Angst vor einem möglichen und schrecklichen Ereignis andererseits, das zu verhindern in unserer Macht liege.
    Im Ton eines scharfen Verweises, mit dem sie jede weitere Diskussion unterband, sagte Violet, er habe sie offenbar nicht verstanden. Es gehe nicht darum, ob mittelalterliche Mystiker sich hinsichtlich der Offenbarung und des Weltuntergangs geirrt hätten. Natürlich hatten sie das, entscheidend sei vielmehr, daß sie leidenschaftlich an ihrem Irrglauben festgehalten und dementsprechend gehandelt hatten. Gleichermaßen glaube er, Edward, ernsthaft daran, daß Atomwaffen die Welt zerstören könnten, und handle dementsprechend. Dabei sei es irrelevant, daß er sich täusche, da diese Waffen letztlich einen Krieg verhinderten. Das sei ja der Sinn der Abschreckung. Als Historiker wisse er doch bestimmt, daß Massenwahn über die Jahrhunderte immer wieder ähnliche Formen annehme. Kaum hatte Edward begriffen, daß sie die Anti-AtomGruppe mit einer apokalyptischen Sekte verglich, enthielt er sich höflich jedes weiteren Kommentars, und die letzten Kilometer legten sie schweigend zurück. Ein andermal brachte er Violet nach Cheltenham, wo sie Abiturientinnen im Ladies College über die Vorzüge einer in Oxford gewonnenen höheren Bildung aufklärte.
    Mit seiner eigenen Fortbildung ging es rasch voran. Während jenes Sommers aß er zum ersten Mal Salat mit einem Öl-Zitronen-Dressing, zum Frühstück ein Joghurt - eine exotische Substanz, die er bislang nur aus einem James-Bond-Roman kannte. Die Kochkünste seines überforderten Vaters und das Pommes-und-Pasteten-Regime seiner Studientage hatten ihn auch nicht auf jenes seltsame Gemüse vorbereitet - auf Auberginen, rote und grüne Paprika, Zucchini und Zuckererbsen -, das ihm jetzt regelmäßig vorgesetzt wurde. Er war überrascht, fast ein wenig verärgert, als Violet ihm bei seinem ersten Besuch als Vorspeise eine Schüssel noch halbroher Erbsen servierte. Und er mußte seine Abneigung gegen Knoblauch überwinden, weniger gegen den Geschmack als gegen dessen schlechten Ruf. Als er ein Baguette ein Croissant nannte, kicherte Ruth, bis sie schließlich aus dem Zimmer geschickt wurde. Zuvor hatte er die Pontings beeindruckt, als er erklärte, er habe

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