Am Tor Zur Hoelle
wollen, mit Menschen, mit denen wir sie nicht tun wollen.
Eines Tages setzte ich mich hauptsächlich aus Frustration von meiner Gruppe ab und begann ziellos durch die Stadt zu wandern. Dann beschloss ich, direkt zum Fluss hinunterzugehen, an die vorderste Front. Als ich mich dem Fluss näherte, sah ich mich plötzlich von einer kleinen Gruppe uniformierter Soldaten umzingelt. Sie waren in einem erregten und emotional aufgeladenen Zustand â aggressiv und herausfordernd, aber durch mitfühlende Rede lieà die Spannung allmählich nach, und nachdem ich erklärt hatte, wer ich war, woher ich kam und welche Absichten ich hegte, wurde mir Gelegenheit gegeben, direkt an die vorderste Front zu gehen und ein Haus aufzusuchen, das als Posten für Heckenschützen diente. Jemand begleitete mich dorthin. Ich wollte mit den Soldaten über das Nicht-Kämpfen sprechen und ermutigte sie zum Reden. Ich wollte die Mauer des Schweigens niederreiÃen, die Mauer der Verleugnung, die existieren muss, damit Töten möglich ist. Wir müssen reden. Wenn wir nicht darüber reden, inwiefern wir betroffen sind, wie wir uns verändert haben, werden wir nicht in der Lage sein, unsere Kriegserfahrung bewusst wahrzunehmen und anzuerkennen. Wenn wir in einem Zustand stummer, dumpfer Unbewusstheit verharren, wird der Krieg nie ein Ende finden. Krieg dauert zum Teil deshalb an, weil sich Menschen mit dem, was im Krieg geschieht, nicht auseinander setzen. Sie sprechen nicht darüber, wie sie sich verhalten haben, wie sie gelitten haben, wie verzweifelt sie waren. Die Ãberlebenden sprechen nicht von ihrem Leiden und setzen ihr Leben einfach fort. Diese Entscheidung belässt viele Gefühle im Verborgenen und bietet damit den Treibstoff für einen endlosen Kreislauf des Leidens und für einen weiteren Krieg. Kultureller Selbstmord.
In Mostar und in Sarajewo, in Krankenhäusern und auf beiden Seiten der Front habe ich mit Soldaten über den Krieg gesprochen, über Kämpfen und Nicht-Kämpfen. Nach Mostar war ich mit einer Gruppe von ungefähr achtzehn FriedensaktivistInnen gekommen, die aus sieben verschiedenen Ländern stammten. Nicht ein einziges Mal fragte einer von ihnen die Menschen: »Wie können wir euch helfen?« Sie waren allesamt mit ihren eigenen Plänen, ihren eigenen Vorstellungen von Frieden gekommen und versuchten, diese der Situation aufzudrücken. Das ist keine Friedensarbeit â das ist eine Form des Imperialismus! Das unterscheidet sich letztlich nicht von Krieg. Ich begriff sehr wohl, dass die AktivistInnen wirklich nach Frieden strebten; sie widmeten ihr Leben dem Frieden. Aber sie hatten keine Ahnung, was Frieden war; sie hatten nur ihre theoretischen Vorstellungen, aber sie besaÃen keinerlei Werkzeug, das ihnen hätte helfen können zu lernen. Sie wussten nicht bewusst zu atmen. Niemand hatte sie je ermutigt, sich ihr eigenes Leiden anzusehen, und deshalb wurde ihr Friedensaktivismus zu einer Fortführung ihres Leidens.
Für mich war es wichtig, mit den Menschen in diesem Kriegsgebiet direkt und aufrichtig zu sprechen. Zu begreifen, dass es nichts gibt, das ich tun kann, um diesen Krieg zu beenden oder auch jeden anderen Krieg, auÃer dem Krieg, der in mir ist. Ich kann den Krieg in mir behandeln und heilen; ich kann mich der Veränderung und Umwandlung öffnen. Der Prozess des achtsamen Lebens hat mir zu der tiefgründigen wie schlichten Erkenntnis verholfen, dass sich meine Veränderung auf jeden anderen Menschen auswirkt, da ich mit anderen wechselseitig verbunden bin.
Als wir das Krankenhaus erreichten, das auf der Westseite von Mostar lag, fand unsere Gruppe einen verwundeten Soldaten, der Englisch sprach, und nach anfänglichem hektischen Medientreiben mit Mikrofonen und Videokameras lieà man mich mit ihm allein. Ich bat ihn, mir von seinen Erfahrungen in diesem Krieg zu erzählen. Anfangs erzählte er mir einzig die guten Geschichten, eine Art Schutzpropaganda. Er sprach nur davon, wie schrecklich die Gegenseite war. Das war schlieÃlich das, wozu er ausgebildet worden war, genau wie ich. Als Soldat war ich darauf getrimmt worden, die Vietnamesen schlicht als bewegliche Zielscheiben zu betrachten, auf die es zu schieÃen galt, und seine Erfahrung unterschied sich nicht von meiner. Indem ich von meiner Kriegserfahrung sprach, ermunterte ich ihn schlieÃlich, auf eine direktere und persönlichere Weise von
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