Am Ufer der Traeume
dunklen Augen und ließ sie geheimnisvoll und unnahbar aussehen.
Der Blick, den sie ihr und den anderen Passagieren zuwarf, als sie ihnen in aller Frühe den Kaffee brachte, wirkte wie eine erneute Warnung und ließ Molly den ganzen Tag schweigsam in der Kutsche sitzen. In Gedanken beschlich sie die Angst, der Traum der Indianerin könnte noch an diesem Tag in Erfüllung gehen und blutlüsterne Krieger über die nahen Hügel schicken.
Doch alles blieb still, und am späten Nachmittag, als sie sich Howard’s Well näherten, einer Station ungefähr vierzig Meilen westlich vom Pecos River, stieß der Kutscher plötzlich einen lauten Fluch aus und griff den Pferden so abrupt in die Zügel, dass Molly den Halt verlor und auf den Schoß ihres Gegenüber geschleudert wurde. Ein Vorfall, der sie normalerweise peinlich berührt zurückgelassen hätte, diesmal aber nur bedrohliche Stille auslöste und die Worte des Kutschers noch unheilvoller klingen ließ. »Verdammt! Die Squaw hatte recht! Die verfluchten Comanchen haben die Station überfallen!«
29
Während der Hungersnot in der alten Heimat hatte Molly einige, zum Teil grausam zugerichtete Tote gesehen, aber nichts hatte sie auf den Anblick vorbereitet, der sich ihr vor der Station bot. Starr vor Entsetzen blieb sie vor der Kutsche stehen und starrte auf die Leichen des Stationsagenten und seiner Frau, die zu Fäusten geballten Hände gegen den Mund gepresst und einen stummen Schrei auf den Lippen. In ihrem Magen drückte und rumorte es.
Der Mann lag vor der Tür, der Körper mit Pfeilen gespickt, das Gesicht noch im Tod verzerrt. Seine Frau lehnte mit dem Rücken am Corralzaun, das einfache Kleid in Fetzen, die Haare offen und verklebt, der Körper voller Schnittwunden. Ihr Körper und die Reste ihres Kleides und der Unterwäsche waren blutverschmiert. Dunkle Fliegenschwärme summten über den Toten, das einzige Geräusch in der unheimlichen Stille neben dem leisen Rauschen des Windes, der in dem Mesquite-Gestrüpp beim Corral raschelte.
»Comanchen«, stellte der Begleitfahrer noch einmal fest. Seine Stimme klang nüchtern wie die eines Mannes, der schon öfter Opfer eines Indianerüberfalls gesehen hatte. Er wandte sich an Molly. »Sie bleiben besser hier, Miss. So was sollte eine Lady nicht aus der Nähe sehen. Snyder und Higginbottom, nicht wahr?« Er blickte die männlichen Passagiere an. »Sie helfen uns, die Toten zu begraben. Je schneller wir hier wegkommen, desto besser.«
Er zog einen Spaten unter dem Kutschbock hervor und forderte den Kutscher und die Männer auf, mit ihm zu kommen. Snyder und Higginbottom folgten ihm nur zögernd, waren beide kreidebleich und zu Tode erschrocken. Der Ingenieur hielt den Kopf gesenkt, um die Toten nicht ansehen zu müssen, der Vertreter schaffte es in seiner Panik nicht, sich von ihrem Anblick loszureißen, blieb nach einigen Schritten abrupt stehen und übergab sich. »Ich ... ich kann nicht ...«, stammelte er und lief zur Kutsche zurück, stieg ein und schlug hastig die Tür hinter sich zu. Molly hörte ihn wie ein kleines Kind weinen.
»Früher konnte man sich noch auf die roten Halsabschneider verlassen«, sagte der Beifahrer, während er den Spaten in die trockene Erde trieb, »da gingen sie nur bei Vollmond auf den Kriegspfad. Inzwischen greifen sie an, wann es ihnen passt. Höchste Zeit, dass die Rangers endlich durchgreifen.«
»Diese Heiden sind der Zivilisation im Weg!«, schimpfte Snyder. Er hatte eine Schaufel gefunden und grub ebenfalls angestrengt. »Man sollte sie alle ausrotten! Für solches Ungeziefer ist kein Platz in unserer zivilisierten Welt. Aber lange wird es nicht mehr dauern, dann fährt die Eisenbahn bis zur Westküste und wir werden Städte, Ranches und Farmen in dieser Wüste errichten. Wir verwandeln dieses unwirtliche Land in ein blühendes Paradies!«
»Wir brauchen mehr Soldaten!«, meldete sich der Kutscher. »Die Rangers haben zu wenig Männer. Nur mit der Armee kommen wir den roten Teufeln bei. Wenn nicht bald was passiert, überfallen sie Städte und Dörfer, so wie vor ein paar Wochen in Mexiko, da haben sie ein ganzes Dorf ausgelöscht.«
Der Beifahrer stieß den Spaten in die Erde. »McGill hat uns gewarnt! Wir sollten so schnell wie möglich weiterfahren, sonst erwischen sie uns auch noch. Ich hab keine Lust, wie die armen Leute hier zu enden. Seht euch den Mann an, sie haben ihm die halbe Kopfhaut weggerissen. Und die Frau ...«
»Gott sei ihrer Seele gnädig«, murmelte
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