Am Ufer der Traeume
während der Überfahrt empfunden, an der Reling der
Elizabeth
, als sich der unendliche Ozean vor ihren Augen ausgebreitet und sie nur Wasser gesehen hatte, von weißen Schaumkronen bedeckte Wellen, die am fernen Horizont gegen den Himmel gestoßen waren.
»Verstehen Sie jetzt, warum wir die Eisenbahn brauchen?«, meldete sich Snyder zu Wort. »In einer Kutsche ist dieses Land doch kaum zu ertragen.«
Higginbottom pflichtete ihm bei. »Wir hätten das Land den Mexikanern lassen sollen. Ich verstehe nicht, wie man wegen dieser Wüste einen Krieg anfangen kann. Auf die Kakteen und Dornensträucher kann ich verzichten.«
»Die Eisenbahn, mein Lieber. Hier verläuft die beste Route.«
Die Reise war anstrengend, nicht nur wegen der Hitze und der holprigen Straße. Mit einem gewissen Respekt und sogar Bewunderung beobachteten der Kutscher und sein Beifahrer, wie Molly die Strapazen der beschwerlichen Fahrt auf sich nahm und weder jammerte, noch sich beschwerte, wenn sie an einer der Stationen, die meist nur aus einer Erdhütte und einem Corral aus Sträuchern bestanden, die Pferde wechselten und ein karges Mahl aus Bohnen mit Speck zu sich nahmen. Sie übernachteten unter freiem Himmel oder unter einer
ramada
aus Sträuchern und waschen durften sie sich nur, wenn es genug Wasser gab, was selten der Fall war. Während der ersten Woche wechselte Molly nur einmal die Unterwäsche. »In Irland hatten wir es auch nicht besser«, beantwortete sie die fragenden Blicke der Männer. »Sie hätten unsere Pritschen im Arbeitshaus sehen sollen. Nur hier weiß ich, dass die Strapazen irgendwann vorüber sein werden.« Sie lächelte. »Gute Nacht, meine Herren.«
Und genau wie damals, auf der Flucht vor Hunger und Leid, schlief sie schlecht. Oft lag sie stundenlang wach und blickte zum sternenübersäten Himmel empor. Quälende Unruhe erfüllte ihren Körper. Nicht wegen der Comanchen und der vielen anderen Gefahren, die in einem unzivilisierten Land wie diesem warteten. Nicht wegen eines einsamen Wolfs, der irgendwo in weiter Ferne den zunehmenden Mond anheulte, oder den unheimlichen Schatten, die sich mit dem wandernden Mond über die Hügel legten. Ihre Gedanken galten Bryan, dem Mann, den sie niemals vergessen würde. Sie fragte sich, ob er in New York oder wo immer er war dieselben Sterne sah und ob er von der gleichen Sehnsucht wie sie geplagt wurde. Sein Brief hatte das unsichtbare Band, das zwischen ihnen bestand, nicht zerrissen. Auch wenn sie viele Meilen trennten, glaubte sie noch immer, seine Wärme und seinen Atem zu spüren, das humorvolle Glitzern in seinen Augen zu sehen.
Richtig nervös machte sie erst einer der Stationsagenten, ein weißhaariger Mann, der mit einer zwanzig Jahre jüngeren Comanchenfrau zusammenlebte und deshalb glaubte, einigermaßen sicher vor den Indianern zu sein. »Sanapia sagt, dass der Mond diesmal schneller zunimmt«, verriet er dem Kutscher und seinem Beifahrer. Seine Stimme hatte einen ängstlichen Unterton. Anscheinend fühlte auch er sich derzeit nicht mehr sicher vor den Comanchen. »Die Krieger wären mit den bösen Geistern im Bunde und bereits nach Süden unterwegs. Sanapia hat sie in einem Traum gesehen.« Er bemerkte die ungläubigen Blicke der Männer und fügte schnell hinzu: »Ich weiß, das klingt nach Voodoo und faulem Zauber, aber ich hab mir längst abgewöhnt, die Augen zu verdrehen, wenn Sanapia von einem Traum erzählt. Sie ist die Tochter eines Medizinmanns. Sie kann in die Zukunft sehen. Erinnert ihr euch noch an den Tornado letztes Jahr? Den hat sie auch vorausgesagt, sonst hätten wir nicht überlebt. An eurer Stelle würde ich so schnell wie möglich weiterfahren. Erst wenn ihr über den Pecos seid, könnt ihr langsamer machen. Da sollen sich die Rangers rumtreiben, eine ganze Kompanie unter Captain McGill.«
Der Stationsagent und seine Frau lebten in einem winzigen Erdhaus, servierten das Essen, wieder Bohnen, doch diesmal ohne Speck, im Freien und wiesen ihnen die Nachtlager unter der
ramada
neben dem Haus zu. In dieser Nacht dachte Molly zum ersten Mal nicht an Bryan. Beim Anblick des Mondes, der bedrohlich zugenommen hatte, kamen ihr nur die Comanchen in den Sinn, glaubte sie, den trommelnden Hufschlag von Pferden und die heiseren Schreie angreifender Krieger zu hören, zuckte sie schon zusammen, als die indianische Frau des Stationsagenten aus dem Haus kam und im Abort abseits ihrer Hütte verschwand. Als sie zurückkehrte, spiegelte sich der Mond in ihren
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