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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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umzusteigen und wäre in wenigen Wochen wieder an der Ostküste. Der Gedanke quälte sie und trieb ihr trotz der Hitze den kalten Schweiß auf die Stirn. Auf keinen Fall wollte sie wieder nach New York oder in irgendeine andere Stadt, in der Iren wie der letzte Dreck behandelt wurden und froh sein konnten, wenn sie eine schlecht bezahlte Arbeit und ein dunkles Zimmer hatten. Nur für Bryan hätte sie diese Bürde auf sich genommen. Für ihn wäre sie sogar durch die Hölle gegangen. Sie liebte ihn bedingungslos, wollte noch immer nicht glauben, dass er sich für alle Zeiten verabschiedet hatte.
    »Eine furchtbare Art zu reisen, nicht wahr?«, meldete sich der beleibte Mann von der Sitzbank gegenüber. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug und einen Zylinder, wie ihn sonst nur die Gentlemen von der Ostküste aufsetzten. »Höchste Zeit, dass wir Schienen durch die Wildnis legen.« Er lüftete seinen Zylinder und stellte sich vor. »Augustus M. Snyder aus Sacramento in Kalifornien. Ich bin Ingenieur der Sacramento Valley Railroad. Wir denken darüber nach, eine Eisenbahn durch die Wüste zu bauen.«
    Den Gedanken hielt Molly für reichlich kühn. »Eine Eisenbahn? Durch dieses wilde Land?« Sie blickte nach draußen und konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, jemals eine Eisenbahn in dieser unzugänglichen Wüste zu sehen. »Aber das ist unmöglich! Hier gibt es nicht mal genug Wasser!«
    »Warten Sie es ab, Miss.« Er tupfte sich mit einem weißen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Seine dicken Backen glänzten rötlich. »In spätestens einem Jahrzehnt, vielleicht sogar schon in ein paar Jahren, werden wir dieses trockene Land in einen blühenden Garten Eden verwandelt haben. Sobald wir die Zustimmung des Kongresses haben, kann es losgehen.« Er seufzte, als die Kutsche durch ein Schlagloch holperte. »Aber ich langweile Sie sicher mit meinem Gerede.« Er wandte sich dem anderen Passagier zu. »Was halten Sie von einer Transkontinental-Eisenbahn ... wie war doch Ihr Name?«
    »Walter Higginbottom«, antwortete der hagere Vertreter. Er trug eine Nickelbrille auf seiner knochigen Nase. »Ehrlich gesagt, glaube ich nicht daran. Mir sind sogar Gerüchte zu Ohren gekommen, die von einer Einstellung dieser Kutschenlinie sprechen. So viel Militär, wie Sie zum Schutz Ihrer Arbeiter brauchen, gibt es im ganzen Westen nicht, und wenn Sie darauf verzichten, werden Ihnen die Comanchen sehr bald einen Strich durch die Rechnung machen. Nein, mein Lieber, zuerst einmal müssen wir die Indianer besiegen.«
    »Darum soll sich die Armee kümmern. So schwer kann es doch nicht sein, eine Handvoll Indianer, die größtenteils noch in der Steinzeit leben, zu besiegen oder in Reservate zu sperren. Comanchen ...« Er grinste verächtlich. »Blutgierige Wilde sind das, die man so schnell wie möglich ausrotten sollte.«
    »Das versuchen die Rangers schon seit Jahren.«
    Molly hatte sich nie viele Gedanken über die Indianer gemacht. Wenn Texas wirklich so groß war, wie jeder behauptete, war doch wohl Platz für alle. »In Texas kannst du tagelang reiten, ohne einem anderen Menschen zu begegnen«, hatte sie einen Mann in Santa Fe sagen hören. »Um dort einem Indianer in die Arme zu laufen, musst du schon verdammtes Pech haben.«
    Sie erreichten Franklin am frühen Abend. Die Stadt bestand aus zahlreichen Adobe-Lehm-Häusern und einigen Gebäuden mit falschen Fassaden an der neuen Main Street, war aber wesentlich kleiner als Santa Fe und hatte durch ihre strategische Lage an der mexikanischen Grenze vor allem militärische Bedeutung. Ein Fort sollte bereits im Bau sein. Molly fiel lediglich eine Missionskirche am Stadtrand auf, deren Glocken feierlich läuteten, als die Kutsche an ihr vorbeifuhr. Das Läuten galt einem Brautpaar, das gerade aus der Kirche gekommen war und sich von den Hochzeitsgästen feiern ließ.
    Molly verbrachte die Nacht in einem Hotel neben der Poststation. Sie badete ausgiebig und ließ sich das Abendessen aufs Zimmer kommen, verbesserte ihre Lesefähigkeit bei der Lektüre eines Buches, das ihr ein freundlicher Hotelgast in Santa Fe geschenkt hatte. Es hieß »Uncle Tom’s Cabin« und handelte von einem schwarzen Sklaven, der auf einer Plantage im amerikanischen Süden unter unvorstellbaren Bedingungen leben musste. Wenn diese Schilderungen der Wirklichkeit entsprachen, überlegte Molly, gab es tatsächlich Menschen, denen es noch schlechter ging als den Iren unter der englischen Herrschaft. Sie kam

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