Am Ufer der Traeume
Pilzen und Kräutern. Ihre Hoffnung war gering. In unmittelbarer Nähe der Wagenstraße war alles abgegrast, und als sie sich weiter davon entfernte, fand sie nur ein paar vertrocknete Beeren, die vom Sommer übrig geblieben waren. Nicht gerade das, was sich ihre Mutter und ihre Schwester erhofften. Sie ließ die Wagenstraße noch weiter hinter sich, stieg einen steilen Hang empor, balancierte auf Steinen über einen Bach und war sicher schon eine Meile von der Straße entfernt, als sie über einen versteckten Stein stolperte, zu Boden fiel und nur einen halben Schritt neben einigen Pilzen zu liegen kam.
Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Die Pilze waren essbar, das erkannte sie selbst im Halbdunkel. Sie war während der letzten Monate und auch im vergangenen Jahr zu oft auf Nahrungssuche gewesen, um sich zu irren. Dankbar pflückte sie die Pilze, auch einige Kräuter, die in der Nähe wuchsen und trotz ihres bitteren Geschmacks genießbar waren, und nahm sie mit. In Gedanken schickte sie ein Dankesgebet zum Himmel empor. Anscheinend hatte Gott sie doch nicht vergessen oder gewährte er ihnen nur einen Aufschub?
Sie richtete sich auf und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als sie eine dunkle Gestalt in der Ferne entdeckte. Ein junger Mann, so hatte es den Anschein, lief gebückt über einen der zahlreichen Hügel. Über seinem Rücken hing ein Bündel und in der rechten Hand hielt er einen Wanderstock. Er stieg den Bergen entgegen, wollte anscheinend zu den Höhlen, die auch Molly, Fanny und ihre Mutter als Ziel auserkoren hatten. Oder wollte er zu dem Wäldchen, das sich jenseits der Hügel erstreckte? War Diebesgut in dem Bündel?
Molly versteckte sich rasch im Wald und eilte im Schutz der Bäume zur Wagenstraße zurück. Sie hatte keine Lust, einem Strauchdieb oder Wegelagerer in die Arme zu laufen. Die Pilze und Kräuter fest in den Händen, kehrte sie zum Feuer zurück. »Ich hatte Glück«, sagte sie und schenkte den Kindern einige Pilze, als sie ihre hungrigen Augen sah. »Für uns bleibt noch genug.«
4
Die Maynards bedankten sich mit einem Päckchen Streichhölzer für die Pilze. Ein wertvolles Geschenk, das Molly, Fanny und ihrer Mutter das mühsame Feuermachen mit Steinen ersparte, wenn sie es überhaupt geschafft hätten, ein Feuer auf diese anstrengende Weise in Gang zu bringen, und ihnen noch von großem Nutzen in ihrem Höhlenversteck sein würde. Auf der Farm hatten sie in ihrer Panik nur an das Essgeschirr und die Wolldecken gedacht, beides lebensnotwendig, wenn man auf der Straße leben musste. Selbst ins Arbeitshaus, so hatten sie gehört, musste man seinen eigenen Essnapf mitbringen.
Während die Maynards darüber nachdachten, ins Arbeitshaus nach Castlebar zurückzukehren, vor allem wegen der Kinder, stiegen die Campbells in die Ausläufer des Croagh Patrick hinauf. Der kegelförmige Gipfel des Berges war von Wolken umhüllt. Jeder Ire kannte seine Geschichte, dass Saint Patrick, der Schutzheilige aller Iren, vor über tausend Jahren auf seinen Gipfel gestiegen wäre und dort vierzig Tage ohne Nahrung und Wasser zugebracht hätte. Auf dem Berg hatte er eine Kapelle errichtet und eine Glocke ins Tal geworfen und auf diese Weise alle Schlangen von der Insel vertrieben.
Der Geist von Saint Patrick schien immer noch über den Berghängen zu schweben und ihnen neue Kräfte zu verleihen. Von den Pilzen und Kräutern konnte die neue Energie nicht kommen, sie hatten gerade mal den gröbsten Hunger gestillt und nicht einmal für ein Frühstück gereicht. Voller Hoffnung, eine der legendären Höhlen zu finden und dort die Hungersnot überstehen zu können, wanderten sie über die steilen Hügel. Auch Rose Campbell fühlte sich stärker, hustete aber leicht und fror selbst unter der Wolldecke. Ihr Blick war ständig auf den Gipfel des Croagh Patrick gerichtet, als wäre der Geist des legendären Heiligen in der Lage, sie in eine bessere Zukunft zu führen.
Molly ging es nicht anders. Der Anblick des Berges weckte die leise Hoffnung in ihr, dem überfüllten Arbeitshaus bei Castlebar entgehen zu können und doch noch eine Chance zu haben, aus eigener Kraft ein neues Leben beginnen zu können. An den jungen Mann, den sie bei ihrer nächtlichen Nahrungssuche gesehen hatte, dachte sie nur flüchtig. Einer von vielen Hungernden, die zu stark oder zu stolz waren, um in ein Arbeitshaus zu gehen, und versuchten, die schlechten Zeiten auf eigene Faust durchzustehen. Seltsam vertraut hatte er auf sie
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