Am Ufer der Traeume
Bruder mochte er lieber als mich. Aber wir hielten durch und arbeiteten allein auf der Farm ... bis vor drei Monaten. Da erschien Sir Rowan, ein Abgesandter unseres englischen Landbesitzers, auf unserer Farm und befahl uns, das Haus zu verlassen. Als mein Vater mit den bloßen Fäusten auf Rowan losging, erschoss ihn der Abgesandte. Ich konnte fliehen und musste aus der Ferne mitansehen, wie sie unser Haus niederbrannten. Sir Rowan hielt den kleinen Lederbeutel mit unserem Ersparten in der Hand, als er davonritt. Beinahe sechs Pfund hatten wir zusammen.«
»Davon hättest du viele Vorräte kaufen können«, sagte Molly. Sie lief eine Weile stumm hinter dem Jungen her. »Tut mir leid, das mit deinem Vater.«
»Er wollte es so ... er wollte zu meiner Mutter.«
Sie folgten dem Bach in ein Wäldchen und erreichten einen sprudelnden Wasserfall, der in ein natürliches Becken ungefähr zwanzig Schritte tiefer stürzte. Über einen versteckten Wildpfad, der durch dichtes und verschlungenes Unterholz in steilen Serpentinen nach unten führte, erreichten sie das Ufer des kleinen Sees, den der Bach auf der versteckten Lichtung bildete.
Bryan führte sie zu einem flachen Felsen, der weit in das klare Wasser reichte und sein Lieblingsplatz zu sein schien. Er spießte einen Wurm auf den Haken und gab ihr seine Angel. »Hier ... versuch’s mit der. Die hat mir heute Morgen schon Glück gebracht.«
Molly schleuderte die Angelschnur ins Wasser. Schon nach wenigen Minuten zuckte die Leine und sie zog eine stattliche Forelle an Land. Sie betrachtete den Fisch wie ein Gottesgeschenk. »Der gehört meiner Mutter.«
»Und jetzt noch zwei für dich und deine Schwester.«
Doch es reichte nur noch für eine weitere Forelle. Mit dem Messer, das Bryan ihr gab, nahm sie beide Fische aus, warf die Innereien ins Wasser und zog eine dünne Lederschnur durch ihre Mäuler. Zu ihrer Überraschung band er einen seiner Fische los und streckte ihn ihr hin. »Den schenke ich dir«, sagte er fröhlich.
»Ich hätte schon noch einen gefangen.« Sie war guter Laune.
»Sicher.« Er grinste wieder. »Zeit für einen heißen Tee, Little Red?«
»Du hast ... Tee?«, wunderte sie sich.
»Für eine Prinzessin wie dich immer!«
Er führte sie in sein Versteck, eine Hütte aus gebogenen Ästen und Zweigen, die er mit Lumpen und Decken abgedichtet hatte. Durch eine Öffnung im Dach zog Rauch. Der Boden war mit weichem Gras und weiteren Decken gepolstert und bot ein bequemes Schlaflager. Seine Vorräte, vor allem Tee, einige Gläser mit Mehl, Zucker und Salz und zahlreiche Wurzeln, Zwiebeln und Kräuter, lagen in einer Kiste. Er nahm den Topf mit heißem Wasser von der Feuerstelle und goss ihr einen Becher mit Tee auf. »Zucker?«
Sie strahlte. »Wir hatten kaum Zucker. Nur etwas Honig.«
Er süßte ihren Tee und reichte ihr das irdene Trinkgefäß. »Ich bin schon einige Monate unterwegs, da sammelt sich so einiges an. »Er beobachtete, wie sie trank, und blickte sie aus seinen blauen Augen an. »War ziemlich mutig von euch, hierherzukommen. In den Wäldern verstecken sich Strauchdiebe und einige Leute behaupten sogar, dass es hier noch Wölfe geben soll.« Er legte ein Holzscheit in das Feuer. »Nur du, deine Schwester und deine Mutter?«
»Warum nicht? Traust du uns das Leben in der Wildnis nicht zu? Wir Frauen sind zäher als manche Männer und von dem bisschen Hunger lassen wir uns noch lange nicht in die Knie zwingen. Wir kommen lebend da raus.«
»Wenn ich dir zeige, wo man noch Forellen erwischt.«
»Pah ... die hätte ich auch gefunden.«
»Nie im Leben.«
»Wenn
du
sie aufgespürt hast, hätte
ich
sie auch gefunden. Ich bin keine dumme Magd, ich komme schon zurecht, auch ohne einen Schlauberger wie dich. Stell dir vor, ich kann sogar lesen und schreiben. Und du?«
»Ich weiß, wie man überlebt.«
»Und im Winter, wenn es schneit? Was machst du da?«
»Ich horte Vorräte ... wie ein Eichhörnchen.«
Der Tee schmeckte gut, vor allem wegen des Zuckers. Wenn sie ehrlich war, hatte sie noch nie etwas so Wohlschmeckendes getrunken. Nicht mal die frischeste Buttermilch konnte sich mit diesem Getränk messen. »Wo hast du den her?«, fragte sie nach einigen Schlucken. »Von einem Edelmann?«
»Mein Geheimnis.«
»Du hast ihn doch nicht gestohlen?«
»Die Engländer haben unser ganzes Erspartes gestohlen«, brauste Bryan auf. »So viel Tee könnte ich gar nicht stehlen, um das wieder wettzumachen.«
Sie lächelte schwach. »Aber gut
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