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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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unsere Ernte ... wir brauchen eine Herberge!«
    »Wir sind voll besetzt.« Der Mann ließ seinen Blick über die wartenden Frauen schweifen. Beim Anblick von Fanny trat ein flüchtiges Funkeln in seine Augen. »Wir haben kaum genug Vorräte, um die Insassen durchzufüttern.«
    »Nur für ein paar Monate, Sir.« Bryan ließ nicht locker. »Bis wir wieder bei Kräften sind. Hier draußen müssten wir sterben. Haben Sie ein Herz!«
    »Ich kann keine Ausnahmen machen. Wir mussten schon Leute abweisen, die viel schwächer waren. Versucht es in einem anderen Bezirk.« Wieder blieb sein Blick an Fanny hängen. »Betet zum Allmächtigen, der weiß Rat.«
    Fanny spürte den begehrlichen Blick des Mannes und schob sich nach vorn. Sie versuchte, wie ein kleines Mädchen auszusehen, das seinen Vater um einen Gefallen bittet. »Bitte, Sir ...«, flehte sie ihn an, »weisen Sie uns nicht ab! Wir können doch nichts dafür, dass es uns so schlecht geht. Sie haben uns alles genommen ... selbst die paar Pennys, die wir gespart hatten. Bitte, Sir!«
    Der Mann hielt die Lampe hoch, damit er sie besser sehen konnte. In seinen Augen flackerte so etwas wie Gier auf. »Wie heißt du, schönes Kind?«
    »Ich bin Fanny.« Sie schob einige Haarsträhnen aus ihrem Gesicht, eine zufällige Geste, die ihm zu gefallen schien. »Nehmen Sie uns auf ... bitte, Sir!«
    Der Mann leckte sich mit der Zunge über die Lippen. »Also meinetwegen«, gab er nach einigem Zögern nach. Seine Stimme klang plötzlich sehr heiser. »Heute früh sind ein paar Leute gestorben, die Betten könnt ihr haben.« Er zog die Tür auf und streifte Fanny scheinbar unabsichtlich, als sie an ihm vorbeiging. »Dafür seid ihr mir was schuldig, verstanden?«
    »Wir werden hart arbeiten«, versprach Bryan.
    Der Mann führte sie in die Eingangshalle, einen großen Raum mit unverputzten Wänden und hoher Decke. Es gab keine Fenster. Der Lichtschein der Laterne huschte über einen Holztisch, einen Stuhl und ein paar Bänke. Von der Eingangshalle gingen mehrere Zimmer ab, die Türen waren verschlossen.
    »Wartet hier«, sagte der Mann.
    Wie sich schon bald darauf herausstellte, handelte es sich bei dem Mann, der sie hereingelassen hatte, nicht um den Pförtner, sondern um William Blakely, den Master des Arbeitshauses. Ihm mussten alle gehorchen. Er kehrte mit der Hausmutter zurück, einer hageren Frau mit strengen Gesichtszügen und einer weißen Haube über ihren grauen Haaren. Sie war für die weiblichen Insassen des Arbeitshauses verantwortlich. Man erzählte sich, dass sie mit einem Henker verheiratet gewesen war und in einem Kerker gearbeitet hatte.
    »Du kommst mit mir«, sagte Blakely zu Bryan. Er packte den jungen Mann am Oberarm, als er sich zu Molly umdrehte, und stieß ihn reichlich unsanft vorwärts. »Bei uns leben Männer und Frauen getrennt, das gibt weniger Ärger.« Er blickte über die Schulter und schien nur Fanny zu sehen.
    Molly war viel zu aufgeregt, um es zu bemerken. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie Bryan kaum noch sehen würde. »Bryan!« Sie wollte ihm nachlaufen, wurde aber von der Hausmutter festgehalten. Sie versuchte vergeblich, sich loszureißen. »Warum darf er nicht bei uns bleiben, Sir? Bryan gehört zu uns!«
    »Wir haben unsere Vorschriften«, erwiderte Blakely.
    Bryan riss sich von ihm los und rannte ein paar Schritte zurück. »Im Frühjahr, Little Red! Im Frühjahr fahren wir nach Amerika! Halt durch, hörst du?«
    »Bryan!«, rief sie noch einmal.
    Sie mussten hilflos mit ansehen, wie er Bryan in einen Nebenraum zog, und blieben mit der Hausmutter allein zurück. Die hagere Frau stemmte beide Hände in die Hüften. »Ich bin Mary McDowell, die Hausmutter in diesem Arbeitshaus. Mir unterstehen alle weiblichen Insassen dieser Institution. Ich möchte mit ›Madam‹ angeredet werden, verstanden?« Sie blickte die Schwestern und ihre Mutter der Reihe nach an. »Ob ihr mich verstanden habt, will ich wissen!«
    »Ja, Ma’am!«, erwiderte Molly.
    »Mitkommen!«
    Sie führte die Neuankömmlinge in einen Nebenraum und begann mit einer Prozedur, die in einem englischen Gefängnis nicht anders ablaufen konnte. Molly, Fanny und ihre Mutter mussten ihre vollständigen Namen nennen und über ihre Herkunft und ihren Werdegang berichten. Nachdem die Hausmutter ihre Angaben fein säuberlich in einem schwarzen Buch notiert hatte, befahl sie: »Ausziehen!« Und als sie nicht gleich verstanden, noch einmal: »Ausziehen!«
    Sie mussten ihre Kleider und Decken

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