Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
Vom Netzwerk:
Winter«, sagte Molly. Als Farmerstochter wusste sie die Bedeutung eines solchen Sturmes einzuschätzen. »Kälter als in den vergangenen Jahren. Den würde meine Mutter niemals überstehen.«
    Bryan umarmte sie immer noch. »Keine Fische, kaum Eichhörnchen. Und in der Stadt ist auch nichts zu holen, wenn es noch kälter wird. So ein Winter wie vor zwei oder drei Jahren, dann würden wir es schaffen ... ganz sicher.«
    »Dann bleibt uns nur das Arbeitshaus. Kommst ... kommst du mit uns?«
    »Sicher ... wir bleiben nicht lange.«
    »Bis zum Frühjahr?«
    »Bis die Sonne wieder scheint ... dann gehen wir nach Dublin und fahren nach Amerika. Noch drei Monate ... höchstens vier. Hältst du so lange durch?«
    »Ganz bestimmt. Aber ich habe Angst um Mutter ...«
    »Sie schafft es, Little Red. Wir alle schaffen es.«
    »Wenn du es sagst, Blue Eyes.«
    Und dann küssten sie sich, mit kalten und blau verfärbten Lippen und nur für den Bruchteil einer Sekunde, und doch war es der schönste Kuss in ihrem Leben, vor allem der zärtlichste, als sie viele Jahre später daran zurückdachte.

7
    Die Sonne, die am nächsten Morgen vom blauen Himmel strahlte, täuschte darüber hinweg, in welcher verzweifelten Lage sie sich befanden. Sie hatten die Nacht gemeinsam in der Höhle verbracht, ohne ein wärmendes Feuer, aber auf einem dichten Laubteppich und unter allen verfügbaren Decken, und waren bereits unterwegs, als die Sonne über den verschneiten Hügeln emporstieg. Zum Frühstück hatten sie sich einen der Zwiebacke geteilt, die Bryan für Notfälle in einer Tasche seines Ponchos trug. Er war hart wie Ziegelstein. Zum Glück hatten sie ihr Essgeschirr, das sie im Arbeitshaus brauchten, wiedergefunden.
    Bryan hatte zwei seiner Decken aus dem Schnee gegraben und sie beide Rose Campbell um die Schultern gelegt. Sie hustete bereits wieder und brauchte die Wärme am dringendsten. Durch die Gasse, die Molly in die Schneewehen vor der Höhle gegraben hatte, stapften sie über das verschneite Geröllfeld und auf einen nahen Hügelkamm. Über die beinahe kahlen und dem Wind abgewandten Hänge wanderten sie der Wagenstraße entgegen.
    Trotz der Sonne, die ungewöhnlich hell vom Himmel schien, war es bitterkalt. Nur der schwache Wind machte die Temperaturen einigermaßen erträglich. In fester Winterkleidung hätten sie keinen Grund zur Klage gehabt und sich vielleicht sogar an der verschneiten Landschaft erfreut. In ihren leichten Kleidern, Decken und Lumpen froren sie jedoch erbärmlich und wünschten sich nichts sehnlicher, als sich an einem Feuer oder vor einem Kamin aufwärmen zu können. Doch ihre Streichhölzer waren unbrauchbar, Bryan hatte seine im Sturm verloren, und selbst wenn sie sich die Zeit genommen hätten, nach Feuersteinen und trockenem Reisig zu suchen und sie es geschafft hätten, ein Feuer zu entfachen, wären sie nach ein paar Tagen verhungert. Sogar die Tiere schienen vor dem Blizzard geflohen zu sein.
    Wegen der weiten Umwege um die hohen Schneewehen kamen sie nur langsam voran. Bryan lief vornweg und schaufelte mit den bloßen Händen den Schnee zur Seite, wenn sie auf ein Hindernis stießen. Hinter ihm folgte Rose Campbell, die selbst in ihren vielen Decken fror, vor allem, weil ihre Schuhe zerfleddert waren und zu viel Nässe durchließen. Molly und Fanny gingen am Schluss, stets darauf gefasst, ihre Mutter zu stützen, wenn sie strauchelte. Der Blizzard hatte sie erneut geschwächt. Molly war einigermaßen bei Kräften und wurde von der Hoffnung getrieben, im Arbeitshaus den Winter überstehen und im Frühjahr auf die lange Reise nach Amerika gehen zu können.
    Sie erreichten die Wagenstraße am frühen Abend. Die Sonne war längst wieder hinter dichten Wolken verschwunden und am westlichen Horizont war nur ein schwacher Schimmer zu sehen. Es roch nach Schnee. In den Tälern waren die Verwehungen nicht ganz so schlimm, die Straße war selbst für Fuhrwerke passierbar und sie waren dankbar dafür, endlich wieder auf ebener Erde gehen zu können. Dennoch mussten sie eine längere Pause einlegen, um Mollys und Fannys Mutter die Gelegenheit zu geben, wieder einigermaßen zu Kräften zu kommen. Der Zwieback, den Bryan ihr unterwegs gegeben hatte, war nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Ihre Abwehrkräfte waren in dem heftigen Schneesturm noch schwächer geworden.
    »Wir haben es bald geschafft, Mutter«, versuchte Molly sie aufzumuntern. »Bis zum Arbeitshaus ist es nicht mehr weit. Die haben bestimmt

Weitere Kostenlose Bücher