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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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Passagiere in den Kabinen zahlen doppelt so viel für die Reise wie ihr auf dem Zwischendeck«, erwiderte der Erste Maat ungerührt, »dafür können sie auch besseres Essen erwarten. Mehr als ein Pfund täglich dürfen wir an die Zwischendeck-Passagiere nicht ausgeben und für den Zustand der Verpflegung können wir nichts. Das ist auf See eben so. Die Matrosen bekommen auch keine andere Verpflegung. Daran lässt sich nichts ändern.«
    »Wenigstens sauberes Wasser. Und etwas fette Brühe ...«
    Der Erste Maat blieb hart. »Tut mir leid, aber das geht nicht. Es hat euch schließlich niemand gezwungen, an Bord der
Elizabeth
zu gehen.« Seine Miene wurde grimmig. »Und jetzt lasst mich in Ruhe, ich habe zu arbeiten.«
    Molly kehrte zu ihrer Mutter zurück und bedeutete Fanny mit einem kaum merklichen Kopfschütteln, dass sie nicht erfolgreich gewesen war. Fanny erklärte ihr mit einer ähnlich unscheinbaren Geste, wie schlecht es ihrer Mutter inzwischen wieder ging. Beide setzten sich zu ihr auf die untere Koje und gaben ihr von dem Biskuit zu essen, das Fanny in einem Becher mit abgestandenem Wasser aufgeweicht hatte. Ihre Mutter aß nur widerwillig, würgte krampfhaft und sank schon nach wenigen Bissen auf ihren Strohsack zurück.
    »Ich mache euch nur Kummer«, sagte sie mit düsterer Miene.
    »Unsinn, Mutter! Du hast dich erkältet, das ist alles. In ein paar Tagen bist du wieder auf dem Damm. Du bist zäher als alle anderen Frauen zusammen.«
    »Das war einmal, Kinder. Aus irgendeinem Grund will der Herrgott nicht, dass ich wieder so stark werde wie früher.« Sie lächelte zaghaft. »Das liegt wohl daran, dass ihr jetzt groß genug seid, um auf eigenen Füßen zu stehen.«
    »So darfst du nicht reden, Mutter. Du lebst noch hundert Jahre.«
    Aber sowohl Molly als auch Fanny wussten, dass es nicht so war. Und wenn sie ihrer Mutter tief in die Augen blickten, mussten sie erkennen, dass sie es auch ahnte. Sie war bereits dabei, die Welt der Lebenden zu verlassen.

18
    Zwei Tage waren vergangen, seitdem Molly und Bryan beim Ersten Maat gewesen waren und vergeblich um besseres Essen gebeten hatten. Ihre Mutter war noch schwächer geworden. Sie hustete wieder so heftig wie nach ihrer Vertreibung von der heimatlichen Farm und blieb inzwischen den ganzen Tag auf ihrem Strohsack liegen. Den Haferbrei und die Biskuits bekam sie kaum noch herunter. Ihr Gesicht war eingefallen, ihre Augen glanzlos und stumpf.
    Sie war nicht die Einzige, die unter den unmenschlichen Bedingungen an Bord litt. Zahlreiche andere Frauen waren krank geworden, und von dem benachbarten Zwischendeck, in dem die Familien untergebracht waren, kam sogar die erschreckende Meldung, dass ein alter Mann am Schwarzen Fieber erkrankt war. Die Ansteckungsgefahr war so groß, dass einige Passagiere schon ernsthaft vorgeschlagen hatten, ihn lebendig über Bord zu werfen. Seine Frau hatte jeden, der sich ihm genähert hatte, mit einem Messer bedroht. Ihre hysterischen Schreie waren auf dem ganzen Schiff zu hören gewesen.
    Molly und ihre Schwester saßen den ganzen Tag bei ihrer Mutter und wechselten sich nachts bei ihr ab. Ohne auf ihre halbherzigen Proteste zu hören, gaben sie ihr von ihrem Essen und ihren Wasserrationen ab und umwickelten ihre Waden mit feuchten Lumpen, um die Hitze aus ihrem Körper zu vertreiben. Einmal glaubten sie, die Temperatur gesenkt zu haben, doch schon wenige Augenblicke später wurde Rose erneut von hohem Fieber gequält.
    Ihre Befürchtung, sie könnte ebenfalls am Schwarzen Fieber erkrankt sein, erwies sich jedoch als unbegründet. Die schwarzen Flecken, die der tödlichen Krankheit ihren Namen gaben, stellten sich nicht ein. Noch litt sie nur unter einer schweren Erkältung und es bestand immer noch die Hoffnung, dass sie wieder ganz genesen könnte. Doch dazu hätte man ein neues Feuer in dem Ziegelsteinofen schüren und ihr kräftige Brühe einflößen, vielleicht sogar einen Arzt holen müssen, und dazu war an Bord der
Elizabeth
keine Gelegenheit. Molly und Fanny blieb nur, für ihre Mutter zu beten, und das taten sie.
    Aus Sorge um Rose traf sich Molly nur noch morgens und abends mit Bryan. Mit sorgenvoller Miene erschien sie auf dem Oberdeck und lehnte seufzend den Kopf an seine Brust. »Es steht schlecht um Mutter«, sagte sie müde. »Sie hat keinen Lebensmut mehr. Ich glaube, sie will sogar sterben.«
    »Sie ist zu jung zum Sterben.«
    »Ich weiß ... aber während der letzten Wochen ist sie stark gealtert. Nachdem uns

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