Am Ufer der Traeume
das Meer mit dem Himmel, und es schien fast so, als wäre die Welt dort zu Ende, sie wussten jedoch beide, dass jenseits des Horizonts das Land der Verheißung wartete, eine bessere Zukunft, die sie zusammen erleben würden.
Obwohl Bryan noch nicht auf die Knie gefallen und um ihre Hand angehalten hatte, gingen beide davon aus, dass sie nach ihrer Ankunft heiraten würden. Sie brauchten einander nur in die Augen zu sehen, um zu wissen, dass sie zusammengehörten. Weiter dachten sie nicht. Sie genossen den Augenblick, das erhebende Gefühl, den strengen Regeln der Heimat entflohen zu sein und der Welt mit neuem Mut entgegenzutreten. Im fernen Amerika, so hatten sie gehört, bestimmten nicht die Eltern, sondern aufrichtige Liebe, welche Frau und welcher Mann heirateten, und man fragte niemanden nach seiner Herkunft und seinem Stand, sondern beurteilte einen Menschen ausschließlich nach dem, was er bisher in seinem Leben geleistet hatte. Großspurige Landbesitzer und skrupellose Mittelsmänner gab es dort nicht. »In New York müsst ihr aufpassen«, hatte ein Mann, der schon drüben gewesen war, zu Bryan gesagt, »dort sind einige Fabriken in den Händen von Europäern, die einen ebenso gnadenlos ausbeuten wie in England oder Irland. Wenn du wirklich frei sein und etwas Neues aufbauen willst, musst du nach Westen gehen, dort redet dir überhaupt keiner rein. Geh nach Westen, Bryan!«
Ausgerechnet am dreizehnten Tag ihrer Reise, für die meisten abergläubischen Passagiere eine Unglückszahl, schien ihr Glück sie wieder zu verlassen. Die Vorräte, die Molly und Fanny, aber auch einige andere Frauen an Bord gebracht und mit ihren Nachbarinnen geteilt hatten, gingen zur Neige und sie waren allein auf das Essen angewiesen, das der Captain unter den Passagieren verteilen ließ. Doch ohne Wurst oder Käse schmeckten selbst die aufgeweichten Biskuits wie nasser Sand und den Haferbrei brachte man ohne Zucker oder Melasse, denn diese Vorräte waren ebenfalls zur Neige gegangen, kaum herunter. Vor allem ältere Passagierinnen vertrugen dieses Essen nicht, klagten über Bauchschmerzen und Übelkeit und übergaben sich. Und das brackige Trinkwasser aus den Fässern machte alles nur noch schlimmer.
Hinzu kam, dass auch ihr Brennholz fast aufgebraucht war und es besonders während der Nacht so kalt wurde, dass auch zwei oder drei Decken nicht mehr ausreichten. Eine siebzigjährige Frau aus der Nähe von Cork, wohl die älteste Passagierin an Bord, wurde krank und bekam so hohes Fieber, dass sie zwei Tage später starb. Zwei Säuglinge, die Zwillinge einer jungen Frau, folgten ihr wenige Stunden darauf und wurden wie sie in eine Decke gehüllt und der See anvertraut. Zu jeder Bestattung las der Captain eine Stelle aus seiner Bibel vor. Tagelang war das verzweifelte Weinen der Mutter zu hören, die mehrmals daran gehindert werden musste, über Bord zu springen.
Die Stimmung war gekippt. Hatte trotz der schlechten Bedingungen und der miesen Verpflegung während der vergangenen Tage noch ein vorsichtiger Optimismus vorgeherrscht, machte sich jetzt düstere Niedergeschlagenheit breit, und die Enttäuschung, auch auf dem Ozean noch nicht den Auswirkungen der schrecklichen Kartoffelfäule entkommen zu sein, wuchs mit jedem Tag. Viele Passagiere waren zu schwach für die lange und entbehrungsreiche Überfahrt, waren so entkräftet, dass sie schon beim leisesten Anflug einer Krankheit in Lebensgefahr gerieten. Das Essen wurde in dem stickigen Zwischendeck immer schlechter und brachte immer mehr Frauen dazu, sich zu übergeben. Jetzt wurde ihnen wenigstens klar, warum so viele Holzeimer unter Deck bereitstanden.
Als Molly erkannte, dass ihre Mutter wieder zu husten anfing und erste Anzeichen von Fieber zeigte, erzählte sie Bryan davon und der nahm sie bei der Hand und sprach mit ihr beim Ersten Maat vor. Richard Bronson, so hieß der Mann, ließ sie eine Weile zappeln und fragte dann: »Was gibt’s denn?«
»Das Essen ist schlecht, Sir«, sagte Bryan mutig. »Viele Leute werden krank und müssen sich übergeben, besonders die Alten und die ganz Jungen.«
Molly drückte seine Hand. »Geben Sie uns heiße Brühe und mehr Brot! Etwas Zucker oder Melasse wäre auch nicht schlecht.« Sie deutete nach vorn, wo ein beleibter Mann aus dem Niedergang kletterte und an die Reling trat. »Die Leute, die eine Kabine gebucht haben, bekommen doch auch was Anständiges. Oder wollen Sie, dass die Hälfte der Passagiere zugrunde geht?«
»Die
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