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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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geentert. Einige weinten, eine junge Frau schrie hysterisch, die meisten waren aber still und starrten reglos in das Halbdunkel.
    »Die Laternen!«, rief Molly noch einmal. Sie griff sich selbst eine, löschte die Flamme und hängte sie an einen Balken zurück. »Nun macht schon!«
    Im zuckenden Lichtschein der letzten Laterne erreichte Molly ihr Lager. Sie ließ sich neben ihrer Schwester auf die Koje ihrer Mutter fallen und hielt sich rasch an einer Strebe fest. Gerade noch rechtzeitig, denn schon im nächsten Augenblick befanden sie sich im festen Würgegriff des Sturms, der mit einer solchen Wucht heranfegte, dass die
Elizabeth
zum Spielball des aufgewühlten Meeres wurde. Sie wurde von den Wellen von links nach rechts gedrückt, sauste in ein tiefes Wellental und rauschte wieder heraus, knarrte und ächzte unter der zornigen Faust eines Gottes, der sich die schwerste Prüfung für die leidgeplagten Iren für diese Reise aufgehoben zu haben schien. Bei jedem Schlag, den das Schiff von den heranstürmenden Wellen bekam, ging ein heftiges Stöhnen durch die Reihen der Passagiere. Einige verloren den Halt und stürzten zu Boden, blieben weinend liegen oder wurden von anderen auf die Kojen gezogen. Jede Welle schien fester gegen den Schiffsrumpf zu schlagen, und es kam ihnen so vor, als sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Planken nachgeben und die Wassermassen ins Zwischendeck fluten würden.
    Molly hielt sich mit einer Hand an einem Bettpfosten fest und drückte mit der anderen ihre Mutter auf den Strohsack, sorgte dafür, dass sie die ständigen Erschütterungen nicht auf den Boden warfen. Fanny saß dicht neben ihr und unterstützte sie, versuchte ihre Mutter mit einem ständigen »Es ist gleich vorbei, Mutter! Das dauert nicht lange!« zu trösten, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie lange ihr Schiff den Naturgewalten noch ausgeliefert sein würde.
    Rose Campbell sagte gar nichts, hatte die Augen geschlossen und schien längst mit dieser Welt abgeschlossen zu haben. Wie eine Tote lag sie auf ihrem Strohsack, die Wangen eingefallen, kaum noch Fleisch auf den Rippen, ohne Hoffnung und Lebensmut. Sie fühlte sich heißer an, spürte Molly, viel heißer als vor dem Sturm, und als sie sich ängstlich über sie beugte, sah sie selbst in der beinahe vollkommenen Dunkelheit, die inzwischen unter Deck herrschte, wie nahe sie dem Tode war und wie verzweifelt sie sich bemühte, wenigstens noch den Sturm zu überstehen, um einigermaßen in Würde sterben zu können. Aus ihrer chronischen Erkältung war eine schwere Lungenentzündung geworden. So eine Krankheit überlebten nur wenige Menschen.
    Wie lange der Sturm gedauert hatte, vermochte später keine der Frauen zu sagen. Als hätte der Herrgott eingesehen, dass er die Passagiere schon genug gepeinigt hatte, befreite er die
Eli-zabeth
aus den Klauen des Unwetters und führte sie in ruhigere Gewässer. Die wenigsten Frauen trauten der plötzlichen Ruhe, rechneten jeden Augenblick damit, in ein neues Inferno zu geraten, und atmeten erst auf, als ein Matrose die Klappe zum Niedergang öffnete und helles Licht ins Zwischendeck strömte. Wie ein Hoffnungsstrahl fiel der Lichtbalken auf Tisch und Boden. Einige Frauen zündeten die Laternen an.
    Die nächsten Tage verliefen ruhig. Die Sonne ließ sich nur selten blicken und über dem Meer wölbte sich ein bedeckter Himmel, aber die schwarzen Wolken waren nach Osten abgezogen und nur noch am fernen Horizont zu erkennen. Der Wind blies kühl und stetig und trieb sie mit geblähten Segeln voran. Alle waren erleichtert, auch die Offiziere und Matrosen, die jetzt damit beschäftigt waren, auf dem Oberdeck aufzuräumen und die Schäden an einem der Segel, das sie nicht rechtzeitig gerefft hatten, notdürftig auszubessern. Der Erste Maat, immer noch schlechter Laune, trieb sie mit lauten Befehlen an.
    Während sich die meisten Frauen rasch von dem Unwetter erholten und schon wieder hoffnungsvoll von der Zukunft sprachen, sich nicht einmal mehr über das schlechte Essen und das brackige Wasser beklagten, bedeutete das Unwetter für Molly, Fanny und ihre Mutter einen tragischen Wendepunkt. Rose Campbell ging es schlechter als jemals zuvor. Obwohl Molly und ihre Schwester es sich nicht eingestehen wollten, mussten sie erkennen, dass sie im Sterben lag. Die Kälte, das schlechte Essen und nicht zuletzt der mörderische Sturm hatten sie endgültig in die Knie gezwungen. Sie lag wie eine Tote auf ihrem Strohsack und fühlte sich so

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