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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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»Komm mit!«

17
    Mit Bryan war das Glück zu den Campbells zurückgekehrt. Der Herrgott hatte sich erbarmt und ihrem qualvollen Leiden ein Ende gesetzt. So empfand es Molly, sonst wäre ihr geliebter Bryan wohl kaum mit den Tickets erschienen und ihre Mutter wäre nicht so problemlos durch die Gesundheitskon-trolle gekommen. Nur gesunde Passagiere durften an Bord der
Elizabeth
. Bryan hatte sogar noch etwas Geld übrig, das für gebrauchte Kleider und Schuhe reichte.
    Erst viele Jahre später würde Molly erfahren, dass er die Tickets und das Geld einer toten Familie abgenommen hatte, die während einer kalten Winternacht eingeschlafen und erfroren war. Er hatte sie abseits der Wagenstraße gefunden, ein Gebet für sie gesprochen und ihre Taschen durchsucht, obwohl es streng verboten war, Tote zu plündern. Der armen Familie nützten die Tickets und das Geld sowieso nichts mehr. Beides wäre auf ebenso illegalem Wege in den Taschen des Leichensammlers oder eines Polizisten gelandet.
    Als Gottesgeschenk empfand er seinen Fund, als himmlisches Zeichen, weiter nach Molly zu suchen, nachdem er an der Wagenstraße nach Dublin vergeblich nach ihr Ausschau gehalten hatte. Den Winter hatte er in den Hügeln westlich der Stadt verbracht, bei einer Bande von Strauchdieben, die Engländer überfallen und ausgeraubt hatte, um wenigstens einigermaßen über den strengen Winter zu kommen. Dieses Geheimnis behielt er allerdings für sich. Ein Farmer, der mit seinem Fuhrwerk nach Dublin gekommen war, hatte ihm verraten, dass eine Frau mit zwei erwachsenen Töchtern, auf die seine Beschreibung passte, nach Liverpool gefahren war. Bryan war ihnen mit dem nächsten Schiff gefolgt und war erleichtert, sie so schnell gefunden zu haben.
    »Und ich dachte schon, du hättest dich aus dem Staub gemacht«, sagte Molly, als sie mit der Strömung zur Flussmündung trieben. Sie standen eng umschlungen an der Reling und ließen sich den frischen Fahrtwind ins Gesicht wehen. »Erst lässt du uns allein im Arbeitshaus zurück und dann wartest du nicht mal mit einer Kutsche vor dem Tor, wenn wir rauskommen.«
    »Mit meiner Kutsche war leider schon die Königin unterwegs und ein gewöhnliches Fuhrwerk wollte ich meiner Prinzessin nicht zumuten.« Bryan grinste verstohlen. »Wie ich sehe, bist du auch ohne mich gut zurechtgekommen.«
    »Weil ich keine dieser hilflosen Farmerstöchter bin, die wie kleine Kinder am Rockzipfel eines Mannes hängen!« Und weil ihre Schwester die Gabe besaß, jeden Mann um den Finger zu wickeln, gab sie insgeheim zu. »In Amerika musst du auch als Frau deinen Mann stehen. Glaube ja nicht, dass du mich ständig herumkommandieren kannst, wenn wir verheiratet sind.«
    »Sag bloß, das war ein Heiratsantrag!«, staunte er.
    »Unsinn! Wenn du mich heiraten willst, musst du auf die Knie fallen und mich darum bitten. Ohne offiziellen Antrag kommst du nicht davon. Und in der Kirche will ich dich in einem vornehmen Anzug sehen, so wie ihn die reichen Gentlemen tragen, und ich werde in einem weißen Brautkleid aus kostbarer Spitze vor den Altar treten und unseren Herrgott bitten, ein waches Auge auf meinen Ehemann zu haben, weil er die Angewohnheit hat, sich heimlich aus dem Staub zu machen, wenn er gebraucht wird.« Sie küsste ihn. »Wenn ich dich erst mal an der Kette habe, lasse ich dich nicht mehr gehen.«
    Sie waren so in ihren fröhlichen Schlagabtausch vertieft, dass sie gar nicht merkten, wie der Erste Maat, ein kräftiger Mann mit Wollmütze, die Passagiere vom Oberdeck verscheuchte. Wie alle Schiffe, die in diesem Frühjahr nach Amerika fuhren, war auch die
Elizabeth
hoffnungslos überladen, über vierhundert Passagiere drängten sich an Bord, doppelt so viele, wie eigentlich zugelassen waren. Aber darum kümmerten sich die Eigner nicht, solange mit den Auswanderern noch Profit zu machen war. »In die Quartiere!«, rief der Erste Maat ungeduldig. »Seht ihr denn nicht, dass ihr hier im Weg steht?«
    Molly blieb bei Bryan an der Reling stehen, hörte auch nicht auf ihre Mutter und ihre Schwester, die ihr vergeblich zuwinkten und mit den anderen Passagieren unter Deck verschwanden. Sie hatte nur Augen für Bryan und er nur für sie, und wenn der Erste Maat noch so laut brüllte. Wie alle ledigen Passagiere waren sie gezwungen, ihre Zeit unter Deck in verschiedenen Quartieren zu verbringen, wie im Arbeitshaus gab es Quartiere für Männer, Frauen und verheiratete Paare und Familien. Nur auf dem Oberdeck konnten sie

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