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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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»Ich sollte dir schon bei der Bestattung deiner Mutter sagen, dass Bryan nicht kommen kann, wollte dich aber nicht in deiner Trauer stören. Bryan ist sehr krank. Kein Schwarzes Fieber, keine Cholera, aber er hat hohes Fieber und will unter Deck bleiben, um so schnell wie möglich wieder gesund zu werden. Wir haben gehört, dass die Amerikaner alle Passagiere, die zu krank oder zu schwach zum Arbeiten sind, wieder nach Europa zurückschicken. Das will er unbedingt vermeiden.«
    Auf eine solche Nachricht war Molly nicht vorbereitet. Stumm vor Entsetzen trat sie an die Reling und blickte zu dem dunklen Horizont, hinter dem sich Amerika verbarg, bis sie sich einigermaßen von ihrem Schock erholt hatte. »Und was meinst du?«, fragte sie vorsichtig. »Wird er wieder gesund?«
    Der junge Mann zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich kenne mich mit Krankheiten nicht aus. Er sieht sehr schwach aus und bricht jedes Mal zusammen, wenn er aufstehen will. Er ist nicht der Einzige. Während des Sturms ist Wasser bei uns eingedrungen und viele Männer sind krank geworden. Wir bräuchten Feuerholz, was Anständiges zu essen und frisches Wasser.« Er sah Mollys entsetzte Miene und fügte rasch hinzu: »Aber Bryan ist stark. Wenn einer das Fieber überlebt, dann er. Ich soll dir sagen, dass er ...« Die Worte waren ihm peinlich. »... dass er dich liebt, verdammt! Und dass du jeden Morgen an Deck kommen sollst, damit ich dir sagen kann, wie es ihm geht. Tut mir leid, aber mehr kann ich dir nicht sagen. Bis morgen, Molly.«
    »Bis morgen«, erwiderte sie. »Sag ihm, dass ... dass ich ihn auch liebe!«
    Doch während der folgenden Tage änderte sich nichts. Richard McCory wartete jeden Morgen mit bitterer Miene an Deck und teilte ihr immer wieder das Gleiche mit. »Bryan ist sehr krank. Er braucht noch eine Weile.«
    Und als Molly ihren ganzen Mut zusammennahm, zum Ersten Maat ging und ihn bat, Bryan in seinem Quartier besuchen zu dürfen, erhielt sie die barsche Antwort: »So weit kommt es noch! Wenn ich es einer erlaube, wollen es die anderen auch. Du hättest den Burschen ja heiraten können, bevor ihr an Bord gegangen seid, dann hättet ihr auf dem Familiendeck schlafen können.«
    So blieb ihr nur die Hoffnung, dass Richard McCory eines Tages mit einer hoffnungsvolleren Antwort erscheinen würde, doch stattdessen blieb auch er weg und sie hörte gar nichts mehr von Bryan. Die anderen Männer, die sie befragte, kannten ihn nicht und antworteten ihr nur, dass einige Männer erkrankt wären und man sie bestimmt in die alte Heimat zurückschicken würde.
    Molly nahm die Nachricht wie eine Demütigung hin und hatte es ihrer Schwester zu verdanken, dass sie während der restlichen Tage auf See nicht trübsinnig oder selbst krank wurde. »Bryan lässt dich nicht im Stich!«, ermutigte sie Fanny immer wieder. »So einer ist er nicht! Vertraue ihm, Molly!«
    Ihr Vertrauen wurde nicht belohnt. Als die Häuser von New York im morgendlichen Dunst auftauchten und fast alle Passagiere an Deck kamen, vor Freude tanzten und sich in den Armen lagen, sogar Fanny mit den anderen jubelte, stand sie allein an der Reling und blickte mit trüber Miene in die Zukunft. »Bryan, verdammt! Entweder kommst du jetzt oder ich hole dich!«
    Leider gestattete ihr niemand den Zutritt zu den anderen Quartieren, und als sie im Hafen festmachten, erschienen amerikanische Ärzte und Krankenschwestern an Bord und niemand durfte sein Quartier verlassen, bevor man ihn untersucht und für gesund erklärt hatte. Für den Fall, dass einer der Kranken protestierte und sich dagegen wehrte, standen Polizisten in der Nähe.
    Molly verließ das Schiff mit ihrer Schwester und brach nicht in Freudentränen aus, als sie amerikanischen Boden betrat. Sie weinte echte Tränen, denn Bryan erschien nicht und niemand konnte ihr sagen, was mit ihm geschehen war. »Bryan«, flüsterte sie traurig und sank enttäuscht auf die Knie.

ZWEITES BUCH
AMERIKA
    »Gebt mir eure müden, eure armen, eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren.«
    Emma Lazarus, 1883
    19
    »Das Land der Freiheit? Dass ich nicht lache ...«, antwortete Molly, wenn man sie nach ihrer Meinung über Amerika fragte. »New York ist schlimmer als London oder Liverpool und ich frage mich langsam, warum ich überhaupt ausgewandert bin. In Irland hatte ich wenigstens das Gefühl, zu Hause zu sein. Wenn es eine bessere Zukunft geben soll, liegt sie bestimmt nicht hier ...«
    Fünf Jahre waren vergangen,

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