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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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möglich«, bekräftigte Sarah.
    »Aber wo genau? Gibt es einen Anhaltspunkt?«
    »Einen.« Sarah nickte. »Der einzige Hinweis auf die Herkunft der geheimnisvollen Elixiere findet sich in der Sage von Herakles.«
    »Das Wasser des Acheron«, erinnerte sich Hingis.
    »So ist es. Im Gegensatz zum Styx ist der Acheron ein real existierender Fluss, der auf dem Berge Tomaros entspringt und der durch Epiros gen Westen fließt, dem Meer entgegen.« Sarah nahm einen historischen Atlanten zur Hilfe, den sie aufgeschlagen auf dem Tisch liegen hatte. »Wenn Sie sich nun eine Linie denken zwischen der makedonischen Hauptstadt Pella im Osten, zwischen den Metéora-Klöstern und diesem See, der vom Acheron auf seinem Weg zum Meer durchflossen wird, so werden Sie feststellen, dass sich alle drei annähernd auf einer Achse befinden.«
    »Allmächtiger«, entfuhr es Hingis, als er auf die Karte blickte.
    »Sie haben Recht«, stellte auch die Gräfin fest.
    »An jenem See«, wusste Sarah weiter zu berichten, »befand sich in alter Zeit das Nekromanteion von Ephyra.«
    »Das Totenorakel«, flüsterte Hingis.
    »In der Tat.«
    »Was hatte es damit auf sich?«, wollte die Gräfin wissen, und ein wenig verlegen fügte sie hinzu: »Die Geschichte des klassischen Griechenland war nie mein bevorzugtes Betätigungsfeld. Die Mysterien des Alten Ägypten haben es mir ungleich mehr angetan …«
    »Der Überlieferung nach war Ephyra eine Stadt am nördlichen Ufer des Sees von Acherousia«, erläuterte Sarah bereitwillig. »Tatsächlich befinden sich dort die Überreste einer antiken Siedlung, die allerdings noch nicht hinreichend erforscht wurden.«
    »Ich verstehe.« Die Gräfin nickte.
    »Allerhand wunderliche Dinge werden über das Nekromanteion berichtet«, fügte Friedrich Hingis hinzu. »Manche, die das Orakel besuchten, hatten dort angeblich Visionen vom Jenseits und von den Menschen, die sie verloren hatten.«
    »Wie ist das möglich?«
    »Nun«, führte Sarah weiter aus, »es gibt antike Quellen, die dort den Eingang zur Unterwelt vermuten, was bedeuten würde, dass das Orakel eine Art Pforte zwischen dieser Welt und dem Jenseits gewesen ist. Andere vermuten den Eingang zum Hades weiter nordöstlich, an den oberen Flussläufen. Welche Version zutrifft, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber nehmen wir an, dass sich hinter diesen Überlieferungen ein wahrer Kern verbirgt, so muss ich so rasch wie möglich nach Ephyra.«
    »Um was zu tun?«
    »Um dem Fluss Acheron von seinem Ursprung am Berge Tomaros bis zum See Acherousia zu folgen und den Eingang zum Hades zu suchen«, gab Sarah bekannt. »Oder zumindest das, was die alten Griechen dafür hielten – denn dort vermute ich das Wasser des Lebens.«
    »Den Eingang zum Hades?«, echote Hingis staunend. »Sie wollen sich auf Odysseus’ und Perseus’ Spuren begeben?«
    »Genau das«, bestätigte Sarah.
    »Wie darf ich das verstehen, meine Teure?«, erkundigte sich die Gräfin Czerny zweifelnd. »Erwarten Sie tatsächlich, den Jenseitsschatten zu begegnen?«
    »Das wohl nicht«, räumte Sarah ein. »Dennoch muss es irgendetwas geben – eine Höhle, einen unterirdischen Fluss, eine geologische Anomalie – das real existiert und all diese Mythen inspiriert hat. Dorthin muss ich, wenn ich Kamal retten will. Das ist meine tiefe Überzeugung.«
    »Ich bewundere Ihren Scharfsinn und Ihre Entschlossenheit«, versicherte die Gräfin. »Schon deshalb, weil ich selbst nicht dazu fähig wäre.«
    »Sie sind zu bescheiden.«
    »Durchaus nicht. Dennoch muss ich zur Vorsicht mahnen.«
    »Aus welchem Grund?«
    »Was Sie Epiros nennen, mag einst zum antiken Hellas gehört haben – mit der Eroberung Konstantinopels durch die Türken wurde es jedoch Teil des Osmanischen Reiches und ist es bis heute geblieben. Zwar konnten der Süden Griechenlands sowie ein beträchtlicher Teil Thessaliens im Zuge des Unabhängigkeitskrieges das türkische Joch abschütteln, Epiros und Makedonien jedoch befinden sich nach wie vor unter osmanischer Verwaltung. Und obschon ihn manche Gebrechen plagen, scheint der kranke Mann vom Bosporus noch längst nicht zum Abzug gewillt. Entsprechend ist das Grenzland zwischen beiden Territorien eine äußerst gefährliche, von Unruhen erschütterte Gegend. Die Zeitungen berichten allenthalben darüber.«
    »Ich bin mit den politischen Gegebenheiten vor Ort durchaus vertraut, Gräfin, und ich weiß Ihre Besorgnis sehr zu schätzen«, versicherte Sarah. »Dennoch steht mein Entschluss fest.

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