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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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denen vier leblose Körper hingen.
    Der Kleidung nach waren es Griechen; Widerstandskämpfer, die man gefasst und hingerichtet hatte. Dem Zustand der Leichen nach zu urteilen, hingen sie schon einige Tage dort, denn ihre Haut war seltsam weißlich und gefroren.
    Man hatte darauf verzichtet, den Männern die Augen zu verbinden oder ihnen Säcke über die Köpfe zu stülpen, und so blickte Sarah in die leblosen, in namenlosem Schrecken erstarrten Mienen, die in stillem Vorwurf auf sie herabzustarren schienen.
    »Das ist barbarisch«, ereiferte sie sich, »zivilisierter Menschen absolut unwürdig.«
    »Nai«, gab Perikles zu. »Sein Krieg in den Bergen.«
    »Offensichtlich.« Sarah nickte, wandte sich vom Bild des Grauens ab und ließ ihr Pferd wieder antraben.
    »Dann Sie mir nicht mehr böse?«, fragte der Führer und schloss rasch zu ihr auf.
    »Warum sollte ich?«
    »Weil Dinge gesagt, die nicht stimmen.«
    »Nein«, entgegnete Sarah tonlos, »aber womöglich hast du uns allen damit das Leben gerettet …«
    Ohne sich noch einmal nach den Gehenkten umzublicken, ließ sie die Zügel schnalzen und setzte den Ritt fort, noch immer schockiert über das, was sie gesehen hatte. Eine abstrakte Auseinandersetzung, die sie bislang nur aus Zeitungsberichten gekannt hatte, war plötzlich sehr konkret geworden, hatte ein Gesicht bekommen -im wörtlichen Sinn, und das gleich vierfach.
    Den ganzen Nachmittag über, während sie auf der schmalen Passstraße Richtung Westen ritten, sah Sarah die starren, leblosen Mienen der Rebellen vor sich, die von den türkischen Besatzern hingerichtet worden waren, und obwohl sie nicht an diesem Konflikt beteiligt war und seinem Ausgang bislang eher gleichgültig gegenübergestanden hatte, ertappte sie sich dabei, wie ihre Sympathien sich zugunsten der griechischen Seite verlagerten.
    Des Schnees wegen, der nun auch auf der Straße liegen blieb, kam die Karawane vorübergehend nur noch langsam voran; je weiter hinab sie jedoch gelangte, desto wärmer wurde es, und schließlich ging der Schneefall in Regen über. Die Dunkelheit brach herein, und in einem verfallenen Bauernhaus, das etwa fünfzig Yards von der Straße entfernt auf einer Lichtung stand, suchten die Reisenden Unterschlupf für die Nacht.
    Sarah nahm an, dass das Gebäude schon seit langer Zeit leer stand. Fenster und Türen gab es längst nicht mehr; die Wände waren brüchig, die Dielen morsch und das Dach teilweise eingestürzt. Dennoch fanden die Reisenden eine geräumige Kammer, deren Überdachung noch intakt war und die hinreichend Schutz vor dem strömenden Regen bot. Hingis und Perikles waren der Ansicht, dass dies Sarahs Quartier werden sollte, während sie selbst mit einer weniger trockenen Bleibe vorliebnehmen wollten. Sarah jedoch lehnte dies entschieden ab. Sie wollte keine Sonderbehandlung und war bereit, jedes Ungemach mit ihren Kameraden zu teilen. Folglich wurde die Kammer zum Gemeinschaftsquartier erkoren, in dem sowohl Sarah als auch ihre Begleiter ihre Schlafdecken ausrollten und in dessen baufälligem, aber noch funktionsfähigem Kamin ein Feuer entzündet wurde. Alexis, der Koch, verstand sich darauf, über den Flammen eine wohlschmeckende Mahlzeit zuzubereiten, die in der Hauptsache aus weißen Bohnen und Olivenöl bestand, aber nicht nur wärmte und sättigte, sondern auch vorzüglich schmeckte.
    Sarah überließ es Perikles, die Wachen einzuteilen. Je zwei Mann würden eine Schicht übernehmen, wobei jeweils nur ein Maultiertreiber eingesetzt wurde. Offenbar traute der Makedone den aus der Walachei stammenden Männern, die untereinander in einem eigentümlichen Dialekt parlierten, nicht sehr viel zu. Als er Sarah einmal mehr in seiner Planung aussparen wollte, bestand sie wiederum darauf, genau wie jeder andere eingeteilt zu werden.
    »Können Sie das?«, fragte der Führer unumwunden skeptisch.
    »Vertrau mir«, entgegnete Sarah mit Blick auf den Sam Browne, an dem nicht nur ihre Feldflasche befestigt war, sondern auch ein Bowie-Messer amerikanischer Fertigung sowie das Holster mit dem Colt Frontier hing. »Ich bin durchaus in der Lage, mich zu verteidigen.«
    »Ich zweifle nicht, Sie können schießen«, räumte Perikles ein, während er seine eigene Waffe lud – eine etwas altertümlich wirkende Pistole mit arabischen Ornamenten, die er anschließend wieder in seine Schärpe steckte. »Aber schon einmal geschossen auf Menschen?«
    »Allerdings«, bestätigte Sarah leise, denn sie war nicht eben stolz

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