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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Doktor. »Ich für meinen Teil bin ein leidenschaftlicher Jäger und sehe dem Saisonbeginn nächste Woche bereits voller Sehnsucht entgegen. Sie haben aber Recht, wenn Sie dem Fuchs eine zentrale Rolle zubilligen, denn ohne ihn gäbe es keinen Sport und kein gesellschaftliches Ereignis, richtig?«
    »Richtig«, gab Sarah zu, »nur sehe ich nicht, was …«
    »Die meisten Menschen, die heute an Fuchsjagden teilnehmen, haben den wahren Sinn der Jagd aus den Augen verloren. Für sie geht es nur darum, sich in der freien Natur zu bewegen, ihre Pferde und ihre Reitkünste vorzuführen oder einfach nur gesehen zu werden – den Fuchs jedoch erachten sie als einen so selbstverständlichen Teil der Jagd, dass sie ihm keine Bedeutung mehr beimessen, obwohl er eigentlich deren Mittelpunkt ist. Nicht anders verhält es sich – so scheint es mir – mit dem menschlichen Gehirn. Zwar haben wir gerade erst damit begonnen, dieses faszinierende Areal des menschlichen Körpers zu ergründen, aber wir wissen, dass es sein zentrales Steuerorgan ist. Auch wenn es uns im Vergleich zu anderen Organen unscheinbar vorkommen mag, halte ich es dennoch für möglich, dass durch gezielte Manipulation am Gehirn binnen kürzester Zeit ein künstlicher Fieberzustand herbeigeführt werden kann.«
    »Nonsens«, ereiferte sich Dr. Markin. »In meiner gesamten Zeit als Schiffsarzt der Royal Navy ist mir nie etwas Vergleichbares untergekommen – und ich habe ganz sicher mehr von der Welt gesehen als Sie, werter Kollege.«
    »Das bestreite ich nicht«, versicherte Cranston gelassen. »Aber wenn wir davon ausgehen, dass nicht nur Blutkreislauf und Atmung sowie der Verdauungs- und Bewegungsapparat vom cerebrum gesteuert werden, sondern auch Funktionen wie das Ansteigen beziehungsweise Absinken der Körpertemperatur …«
    »Das ist eine willkürliche Theorie, die durch nichts untermauert werden kann«, wetterte Markin.
    »Im Gegenteil, Herr Kollege. In Bedlam hatte ich wiederholt mit Patienten zu tun, deren Gehirnfunktion infolge von Kopfverletzungen aufgetretener Blutansammlungen beeinträchtigt waren. Unkontrollierte Fieberanfälle waren häufig die Folge.«
    »Wir haben es hier aber weder mit einer Fieberattacke noch mit einer Kopfverletzung zu tun«, gab Dr. Teague zu bedenken.
    »Richtig«, räumte Cranston ein, »aber das ändert nichts an der grundsätzlichen Richtigkeit meiner Theorie. Der Unterschied zu den von mir untersuchten Fällen besteht lediglich darin, dass der Fieberzustand nicht aufgrund von Gewalteinwirkung und des daraus resultierenden Schädeltraumas herbeigeführt wurde, sondern durch anderweitige Manipulation.«
    »Ich verstehe«, sagte Sarah, der Cranstons Argumentationskette durchaus einleuchtete, obwohl – oder gerade weil? – sie nicht allzu viel von Medizin verstand. »Und wie könnte solch eine anderweitige Manipulation ausgesehen haben?«
    »Gift«, sagte Cranston nur, woraufhin ein Raunen durch die Reihen seiner Kollegen ging. Niemand stimmte zu, aber anders als zuvor erntete der Arzt aus Bedlam auch keinen Widerspruch.
    »Gift? Sie meinen, diese Leute haben Kamal ein Serum verabreicht?«
    »Entweder das, oder sie haben ihn mit einem Krankheitserreger infiziert, der die äußeren Hirnregionen befallen hat und für jenes rätselhafte Fieber verantwortlich ist.«
    »Cranston«, zischte Dr. Markin, »ist Ihnen überhaupt klar, was Sie da sagen? Lady Kincaid, die medizinische Forschung hat diesbezüglich in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte erzielt, aber weder sind wir in der Lage, Dr. Cranstons Hypothese auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, noch stünde es in unserer Macht, etwas dagegen zu unternehmen, wenn er Recht hätte.«
    »Was schlagen Sie also vor, Doktor?«, fragte Sarah spitz. »Soll ich einer bequemeren Theorie anhängen? Ich denke nicht, dass Kamal damit gedient wäre.« Voller Bedauern und Mitleid glitt ihr Blick über den reglosen, mit einem Leintuch bedeckten Körper ihres Geliebten, der vor ihr auf der Bahre lag. Ein leises Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, dann hatte sie sich wieder gefangen. »Ein solches Serum – oder ein solcher Erreger – hätte sehr schnell wirken müssen«, fuhr sie fort. »Die Täter hatten nur wenige Minuten Zeit.«
    »In der Tat«, pflichtete Markin bei. »Dies ist ein weiterer Grund, aus dem ich Dr. Cranstons Theorie nicht folgen kann.«
    »Warum nicht, Doktor?«, fragte Cranston. »Wir wissen von Giften, die innerhalb weniger Augenblicke zum Tod führen –

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