Am Ufer (German Edition)
bleibt nur eine Scheißpension, schien er zuzustimmen. Das war alles. Er sagte nicht: Verkauf doch das Erdgeschoss deines Hauses, verkauf die Schreinerei, oder verkauf das ganze Haus und such dir eine nette Wohnung, die du mit dem finanzierst, was von dem Verkauf übrig bleibt, nachdem du deine Geschwister ausgezahlt hast; oder du baust dir das Haus, das du dir immer auf dem Berggrundstück gewünscht hast, und ziehst da hin, um deine Ruhe zu haben. Das hätte er mir sagen können, hat er aber nicht: Er dachte an sich selbst, die Schreinerei durfte nicht angerührt werden, was ihm Sorgen machte, was ihn ärgerte, war, dass er nicht die Leitung übernehmen konnte. Er verlangte von mir, dass ich seinen Arbeitsplatz mit Entbehrungen meinerseits erhielt, ich sollte damit auch für die Raten des Wohnwagens aufkommen, den er sich kaufen wollte, wenn er in Rente ging. Ja, er hatte so einen Plan: die Wohnung verscherbeln, sich dafür mit seiner Frau einkleines Apartment kaufen, wozu wollen wir die große Wohnung, die Kinder sind verheiratet, nur für uns beide ist ein Apartment besser, und mit den Ersparnissen und dem Restgeld aus dem Tausch wollte er sich einen Wohnwagen kaufen und den Winter an irgendeinem warmen Strand noch weiter im Süden verbringen, sich die Lungen mit dem jodhaltigen Seewind füllen; und im Sommer dann vor einem Bergriesen parken, einer von denen, auf dem noch im August der Schnee schmilzt, dazu die Gischt der kalten Bergbäche, die seine Hänge hinabstürzen. Er lächelte sein nicht sehr offenes Lächeln, das weniger Freude als Kummer über irgendetwas Unbestimmtes ausdrückte. Ein Mensch, der in seinem Leben keinen Teller zerschmissen hat, die Ernsthaftigkeit eines schweigsamen, ehrlichen Mannes, von dem wir annehmen, dass er einen inneren Schmerz mit sich herumträgt, den wir alle respektieren müssen, der mittags auf dem Heimweg ein paar Gläschen Wein allein an der Theke kippt und sich eine kleine Tapa bestellt (die Leute sehen nicht diesen Schmerz in dem Einsamen, sie sagen, er bleibt aus Berechnung allein, um keine Runde ausgeben zu müssen). Deshalb wundert mich, was er da an Hassfähigkeit zeigt, als ich ihm mit teile, dass das Projekt von Pedrós den Bach hinuntergegangen ist, dass man keine Bezahlung zu erwarten hat und dass die Schulden für schon ausgeliefertes Material uns dazu zwingen, die Firma eine Weile zu schließen und einen Ausweg zu suchen; ich muss erst mal alles in meinem Kopf ordnen und sehen, wie ich das hinbekomme, dass ihr nicht geschädigt daraus hervorgeht und den Lohn kriegt, den ich euch schulde, um dann binnen Kurzem wieder ganz normal zu arbeiten (ich verschweige den Rest, aber ihm ist klar, dass es sich um die endgültige Schließung handelt, was soll man bei meinem Alter schon anderes erwarten). Ich erwarte nicht, dass er für mich Tränen vergießt, auch nicht, dass er seine Hilfe anbietet oder sagt, hier stehe ich, wie immer seit über vierzig Jahren, an deiner Seite, dir zur Verfügung für was auch immer, nein, das erwarte ich nicht von diesem Mesner, der Wein trinkt und Tapas isst, mit gesenktem Blick, damiter ja für keinen zahlen muss, er trinkt und isst mit der Konzentration dessen, der das Abendmahl auf die zweifache Weise nimmt (fest und flüssig, Brot und Wein, Leib und Blut), aber ich bitte doch um ein klein bisschen Verständnis, um eine vage Solidarität, ich bin sogar bereit, voller Rührung einen Hauch von Mitleid, eine Geste oder ein Wort des Trostes zu empfangen. Die Werkstatt ist sein Leben, aber länger noch ist sie mein Leben gewesen. Und sie ist mein Heim oder zumindest das meines Vaters gewesen, dort, wo ich gelebt habe. Ich würde hinnehmen, wenn er Armer Esteban sagen würde. Unter diesen Umständen empfände ich das nicht als Demütigung; eine kurze Umarmung, während er mir auf die Schulter klopft und das sagt: Armer Esteban. Aber nein, von einem Augenblick zum anderen schwenkt er vom Ignorieren (dessen, was nicht strikt zu seiner Arbeit gehört, zum Sägen, Leimen, Polieren, Montieren) zu einem Hass um, der alles einbezieht, ein allgemeiner und unumschränkter Hass, und jetzt gerade ist nichts in ihm außer diesem Hass, eine Galligkeit, die sich über mich ergießt und über alles, was mich umgibt, Maschinen, Werkstücke, Räume, sind sie doch nicht länger Instrumente zu seinem eigenen Nutzen: die Schraubstöcke, die Säge, die Hobel-, die Poliermaschine, auch die Wände der Werkstatt und die Neonröhren an der Decke, jeder Bestandteil
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