Am Ufer (German Edition)
jetzt allein, er habe aber eine Frau gehabt, die älter als er war und ihn verlassen hat; und ein Kind, oder fast ein Kind, oder mehr als ein Kind, sagte er, von beiden habe er nie wieder gehört, und dann hat er mir diese unglaubliche Geschichte erzählt, sein Leben mit der Hure und dem Kind. Da ich immer zu dieser Nachtzeit komme, denkt der Mann vielleicht, dass ich ihn angelogen habe und nicht im Früchtelager, sondern in irgendeinem Nachtlokal arbeite, und so will er mir mit dieser Geschichte sagen, dass es ihm egal ist, als was ich arbeite und ob ich etwas älter bin als er. Ich habe den Verdacht, dass er mich mit dieser Erzählung einwickeln will, dass er mit mir das machen will, was er angeblich mit keiner gemacht hat und wohl jedes Mal versucht, wenn sich bei seiner Nachtarbeit eine Gelegenheit bietet, er will mich ins Hinterzimmer bringen, von dem er gesprochen hat, dort, wo die Toiletten sind und das kleine Lager mit den Putzmitteln, mir den Schlüssel der Tür geben und sagen, zieh den Slip runter, ich bin gleich da, und wenn er erst mal dort ist, den Riegel vor die Tür schieben und mich umarmen, mich ansabbern, bedrängen, hastig entkleiden, mit den Händen meinen Kopf runterdrücken, damit ich bis ganz zum Schluss da hocke, sich dann schnell wieder anziehen und sagen, hier kannst du nicht bleiben, um eins kommt der Kassenwart, und jetzt ist schon halb eins vorbei. Sicher verfolgt er genau das mitseiner Geschichte, doch die Traurigkeit, die ihn erfüllt oder die er vortäuscht, zieht mich an, ich glaube, die Geschichte ist erfunden, aber die Trauer ist echt, und echt ist auch die kräftige, von schwarzen Rillen durchfurchte Hand, die er geschlossen – eine Faust – zu den Augen führt, um eine, vielleicht falsche, Träne wegzuwischen, echt ist die resignierte Wehrlosigkeit, die er ausstrahlt und von der man nicht weiß, was sie verbirgt, und plötzlich lockt es mich zu entdecken, ob dieser ruhige, traurige Leib seine eigene Wahrheit ist oder ob er ein Raubtier verbirgt, das seine Bewegungen berechnet, seine Strategie angesichts einer möglichen Beute. Ich kann mich nicht daran gewöhnen, sie nicht zu haben, den Jungen nicht zu haben, sie sind gegangen, und jetzt ist die Stimme noch heiserer, fast kavernenhaft. Du weißt nicht, wie es ist, nach Hause zu kommen und da ist niemand, du hast Glück, hast deinen Mann, deine Kinder. Ich spüre ebenso viel Anziehung wie Angst, doch ich stehe auf und lege ihm die Hand auf die Schulter, und er bleibt reglos, betrübt, löst die eigene Hand nicht von seiner Stirn, uns trennt das Glas mit dem schmelzenden Eis, das an der Zitronenscheibe klebt, während ich mich frage, warum ich ihm von meinen Problemen, seitdem Joaquín arbeitslos ist, erzählt habe, von der Distanz, die uns trennt, seitdem wir mehr Stunden zusammen sind. Warum nur habe ich ihm von daheim, Intimes, erzählt. Ich denke, dass vielleicht auch ich ein Raubtier bin, obwohl, vor allem denke ich, dass ich verloren bin. Ich möchte mehr von ihm wissen.
Álvaro hat die Kündigung kalt erwischt, auch mich hat all das, was über mir zusammengebrochen ist, kalt erwischt, oder etwa nicht? Er glaubte, die Firma sei etwas Unvermeidliches wie die Haut, die einen umgibt, er hat sich nie für Lieferzettel, Buchführung oder Bilanzen interessiert und hatte nur einen spöttischen Blick für mich, wenn ich mich über Probleme oder Schwierigkeiten beklagte, wenn ich mich in den Zahlen des Kostenvoranschlags verhedderte und jonglieren musste, um die Zahlungen so zu datieren, dass sie mit den Forderungen zusammentrafen und ich nicht blank dastand.Richtig kalkulieren oder sich dabei irren, Geld verdienen oder verlieren. Ich habe mich schon oft genug bei Kostenvoranschlägen für die Kunden verrechnet, seitdem mein Vater diese Arbeit abgegeben hat, und habe dabei schon zu viel Geld verloren, rechtfertigte ich die Zeit, die ich über den Berechnungen verbrachte, immer neu addierte, subtrahierte, multiplizierte, Berechnungen, die ihm schwerfielen; und dann waren da diese Blätter, darauf mit der Hand und Bleistift oder Kugelschreiber gezeichnete geometrische Figuren, denen man oben oder unten Zahlen beifügte. Kunde: F. Delmar. Hartfaserplatte/6: 0,35 breit/8,20 lang; 2: 0,40 breit/2,30 hoch. Die Arbeit ist, wie die Familie, eine Last, die man zu tragen hat, nichts zu machen, davon geht man aus, der biblische Fluch, dem man, da unabänderlich, auch gute Seiten abzugewinnen sucht: Du sagst dir, so wird es immer sein, ein
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