Am Ufer (German Edition)
Aufträgen und Gelegenheitsarbeiten über Wasser hält, unfähig, einen anspruchsvollen Auftrag auszuführen, dennoch schreckt er nicht davor zurück, Ja zu sagen, kein Problem, so etwas haben wir oft gemacht, letztes Jahr hatten wir etwas ganz Ähnliches wie das, was Sie sich wünschen, sogar noch komplizierter, und der Kunde war begeistert, gratuliert mir immer noch zu der Arbeit, wenn er mich sieht; solche Aufträge anzunehmen, das macht er mit links, aber dann schiebt er sie immer wieder hinaus, bis der Kunde die Nase voll hat und abtaucht. Als würde dem Kunden nicht ein Blick durch die Glasfront hinunter in die Werkstatt genügen, um das gelagerteHolz zu sehen, die mit hauchdünnen Furnieren aufgehübschten Spanplatten, die viel zu kurz gelagerten Kieferbretter, die Faserplatten, das Sperrholz. Ja, bitte, geben Sie mir Ihre Karte, ich muss es mir noch einmal überlegen, ich ruf Sie an, wenn Sie loslegen können, sagt der Kunde, wenn er zwei und zwei zusammenzählen kann. Aber jetzt sitze ich vor Álvaro, und diese Grimasse, die seine Lippen nach außen stülpt, die Zunge, die da schnalzt, als würde er gleich auf etwas spucken, das ihm widerwärtig ist. Er ist eine finstere Nussbaumskulptur, die hölzerne Darstellung des Gesichts eines unbekannten Teufels, nicht Baal, nicht Beelzebub, nicht Luzifer, nein, ein anderer Teufel, angespannt, gemartert, anonym, einer von jenen, die weder in der Bibel noch in den Traktaten zur Esoterik und Dämonologie zitiert werden. Diese abgeknickte Unterlippe. Ich bin etwas Widerliches, ein weiches und klebriges Wesen, wie die grünen Slimemonster in den Comicsendungen für Kinder. Er schreit fast: Und was soll ich jetzt machen? Glaubst du etwa, dass in diesen Zeiten irgendjemand einem alten Mann, der gerade sechzig geworden ist, Arbeit geben wird? Er schnaubt. Er suhlt sich in den Worten,
einem alten Mann
, und ich verspüre plötzlich etwas, das dem Ekel ählich ist: Er wird mir verächtlich. Er ist die weiche Puppe aus Plastilin. Das Arschloch hasst mich, und dennoch täuscht er Hilflosigkeit vor, statt Zorn oder Verachtung zu zeigen, nur damit ich nicht zum Gegenangriff komme, nicht einmal in Deckung gehen kann, sondern Mitleid empfinde. Was will dieses Arschloch? Dass ich um ihn weine, wo ich mir doch verbiete, um mich selbst zu weinen? Ich mag die Leute nicht, die Mitleid erwecken wollen. Die Bettler, die, statt würdig um ein Almosen zu bitten, vor den Kirchen auf den Knien rutschen, die Arme zum Kreuz ausgebreitet, und sich ein Heiligenbildchen um den Hals hängen und Vater unser und Stoßgebete wimmern. Nicht ihre Armut stößt ab, sondern ihre zweifelhafte Moral. Sie sind Schwindler. Verzeih, Liliana, ich mag mich allzu oft selbst nicht. Das ist ganz normal, Don Esteban, das passiert jedem, auch ich denke oft, dass ich mir nicht gefalle. Ich mag michnicht, wenn ich in den Badezimmerspiegel schaue, und ich könnte heulen, so hässlich sehe ich mich, müde, und dann geh ich raus auf die Terrasse und sehe den Himmel ohne Sterne, der über uns hängt, nur das gelbliche Licht der Straßenlaternen, das sich zu einer dichten Masse wölbt, wie ein Zeltdach aus leuchtender Luft. Hier in Olba sehe ich die Sterne einfach nicht. Offenbar sah sie die von ihrer Haustür aus, dort auf dem Land im Caucatal oder im Quindío, und sie betrachtete sie wie eine Ausstellung möglicher Leben. Das erzählt sie mir. Jeder Stern ein Leben, das sie leben könnte, ein anderes Leben als dieses hier. Hier aber ist dieses weißliche oder gelbliche Zeltdach, das Spinnennetz des Lichts der Later nen, die Lichter auf den Landstraßen, die der Gewerbegebiete, der Fabriken, der Neuansiedlungen, sie nehmen einem die freie Sicht und ihr den Horizont, so sagt sie. Aber sind wir nicht hierhergekommen, um ein anderes Leben zu leben, frage ich Wilson. Mein Mann spottet dann: Das Leben ist überall genauso, was hast denn du gedacht, dass wir hier mit dem Kopf nach unten laufen würden wie die Antipoden? Manchmal denke ich, dass ich, seitdem ich hier bin, am eigenen Leib etwas von dem erfahren habe, von dem wir nicht wissen, woraus es besteht, es aber alle insgeheim wissen wollen. Und hier habe ich erfahren: Da ist kein Himmel, der zählt. Es heißt, unser Gott dort ist von hier rübergebracht worden, und es sieht so aus, als ob er tatsächlich alles hier verlassen hat, oder einfach gegangen ist, vielleicht ist er von hier nach dort gegangen, dann aber von dort wieder fort und irgendwo anders hin, was wir nicht
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