Am Ufer (German Edition)
Lebensgesetz diese Monotonie, erst recht, wenn du schon seit über dreißig Jahren am selben Arbeitsplatz bist und acht bis zehn Stunden an fünf Tagen in der Woche in der Werkstatt stehst. Mit Joaquín und Ahmed oder mit Julio irgendeine Fracht zu holen oder etwas zu liefern, etwas, das vor Ort montiert werden muss, ein Möbelstück, ein Schrank oder eine Regalwand, ist eine Erleichterung. Ab und zu suchte er einen Vorwand, um rauszukommen, wie ich das selbst auch getan habe. Du kommst gar nicht auf den Gedanken, dass nichts ewig ist und alles sich von einem Tag auf den anderen verändern kann. Wie sollst du auch darauf kommen, dass deine Hölle sein könnte, Jahwes Fluch zu entgehen, an einem Ort, wo es kein Buch gibt, in das die Aufträge notiert werden, keinen Block für die Kostenvoranschläge, fernab von Maschinen und Werkzeug, und der für die zeitgenössische Umkehrung des biblischen Fluchs steht: Du wirst dir dein Brot nicht im Schweiße deines Angesichtes verdienen dürfen. Ein unverhoffter und diabolischer Knick. Du entdeckst die irritierende Behaglichkeit der Morgen ohne Wecker, der Tag wie eine Wiese, die sich bis zum Horizont erstreckt, Zeit ohne Grenzen, eine Landschaft ohne Erhebungen, die sie einfrieden, keine Schafherde grast in dieser Ausdehnung,die sich dir endlos zeigt, du entdeckst nicht die Sil houette irgendeines Gebäudes oder eines Baumes. Nur du allein wandelst im Nichts. Die Hölle als ein ausgeräumtes Möbellager, ein stiller Hangar, in dem eine ungeheure Leere herrscht. Von Gott dazu verdammt zu sein, das Brot im Schweiße seines Angesichts zu verdienen, scheint dir am Ende ganz angenehm, das Klingeln des Weckers, das Rauschen von Hähnen und Duschen im Bad, das Blubbern der Kaffeekanne auf dem Feuer, der Rummel des Morgenverkehrs, das Gemurmel der Gespräche an der Theke des Cafés, in dem du dein Croissant isst, die Stimmen der einen und der anderen in der Lagerhalle, die Diskussionen mit den Kollegen, das Surren der Maschinen, das belegte Brötchen und das kleine Bier am späten Vormittag. Álvaro: Erscheint in der Schreinerei um acht; Pause für eine Brotzeit um halb zehn; Wein, Wermut oder Ricard um halb zwei, die Strecke bis nach Hause, wo seine Frau um Punkt zwei den Reis teller, einen weiteren mit Salat, das Essiggemüse und daneben ein Stück Käse und den Obstkorb auf den mit einem Wachstuch gedeckten Tisch gestellt hat; ein Nickerchen im Sessel, dieweil die Nachrichten im öffentlichen Rundfunk der Region beginnen, dann der Spaziergang zurück in die Schreinerei – gut für die Verdauung –, die Trägheit des späten Nachmittags, wenn die Bewegungen notwendig langsamer werden, und danach ein paar Glas Wein in der Bar mit den Freunden (Álvaro hat die immer allein für sich getrunken, einige meinen, aus einer gewissen Menschenscheu heraus, andere, dass schlicht sein Geiz dafür verantwortlich war), Abendessen, Sofa und Glotze, bevor man dann ins Bett geht. Und was nun? Álvaro hat sich noch nicht an solche Gedanken gewöhnt. Schluss mit dem befriedigten Grinsen, wenn er überprüft, dass der Auftrag pünktlich rausgeht und in tadellosem Zustand. Es stimmt schon, dass ein Arbeiter nicht die Übersicht über das Ganze haben muss, das, was man Unternehmermentalität nennt, eine Perspektive, die, wie der Name schon sagt, uns eigen ist, die wir eine Firma besitzen, oder jenen – wenn wir von größeren Unternehmen sprechen –, die dort alsFührungskräfte, als Geschäftsführer wirken. Die Pflichten eines Arbeiters enden in dem Augenblick, in dem das Werkstück verpackt und in den Lieferwagen geladen ist, der mit offener Tür auf den Fahrer wartet, dieweil der Laderaum gebührend geschlossen wurde. Das ist zwar etwas ärgerlich, hat aber den Vorteil, dass du dich, sobald die Uhr den Feierabend angibt, von allem befreien kannst. Er hat nicht einmal dieses bisschen Verständnis gezeigt, das ich gern gespürt hätte, es hat ihn schon immer gestört, wenn ich das von ihm erwartete. Wenn ich ihm beim Kaffee in der Cafetería Dunasol von Rechnungen, Kostenvoranschlägen, Gläubigern erzählte, schaute er woandershin und wechselte das Thema. Ich sehe ihn, wie er die Astlöcher im Holz untersucht, er geht jeder Maserung nach, erspürt die Fragilität des Splintholzes, streichelt mit erfahrenen Fingern, Werkzeugfingern, darüber, erfasst den Grad der Trocknung. Seine Hand ist größer als die meine, seine Finger sind beweglicher, knotiger und stärker, sie haben eine instrumentelle
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