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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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Hund abservieren, wenn sie in die Schusslinie geraten. Das mit dem Töten ist bekanntlich so wie mit dem Essen und Ficken, man muss sich nur dranmachen. Den ersten Bissen bekommst du kaum runter, aber der Rest geht wie von alleine.«
    Das Bild des in einer Blutlache liegenden Hundes lässt mich erschauern (was wird nur aus dir, Tom, aus deiner Unschuld) und nimmt mir die Boshaftigkeit:
    »Ist es dir auch schwergefallen, die Eichel zu lutschen? Ich dachte, das geht nur mir so.«
    Allgemeines Gelächter.
    Ich fahre fort:
    »Gestern las ich in der Zeitung: Überschwemmungen in Pakistan, ich weiß nicht wie viele tausend Tote; und danach eine Meldung aus Afghanistan: Ein Bus kippt und fällt in eine Schlucht, weitere dreißig, vor einer Polizeistation im Irak platzt eine Bombe, noch mal fünfzig, die zu Boden gehen. Alles am selben Tag. In der Nachrichtenlawine erschien mir das im Irak wie eine voluntaristische, naive Übung; ich fragte mich, warum diese Kinder sich mit Attentaten abmühen, wo Allah es doch ganz alleine schafft, genug zu töten.«
    »Parias dieser Erde, die Frantz Fanon und Mao und Lenin und Marx und Che vergebens zu retten versuchten (sie lassen sich nicht retten, keiner kommt gegen sie an), sie singen – Herzensdinge, die der Verstand nicht begreift – weiter Suren für Jahwe-Allah und helfen ihm sogar emsig bei seiner Arbeit als Großer Henker. Ist wohl nicht besonders vernünftig, dass wir in all dem einen Sinn suchen«, sagt Francisco.
    Carlos, der Laizist:
    »Es hat mal jemand gesagt, dass diejenigen an Gott glauben, die am wenigsten Grund dafür haben.«
    »Die Armut ist von Natur aus pessimistisch. Die armen Leute sind überzeugt davon, dass, was auch immer ihnen widerfährt, es immer noch schlimmer kommen kann. Der Mensch ist von Geburtan ein schuldbeladenes Wesen, und Gott bestätigt ihn in seinem Pessimismus, besonders wenn es sich um jemanden handelt, der in einer Hüttensiedlung oder in einem Elendsviertel an der Peripherie geboren wurde und Hunger gelitten hat, seitdem die Mutter ihn an einer trockenen Brust hat nagen lassen und ihn dann, sobald er stehen konnte, zur Arbeit angehalten hat. Verlierst du einen Arm, übernimmt es der Pfarrer, der Rabbi oder der Ulema, dich daran zu erinnern, dass du auch den Kopf hättest verlieren können, und wenn du den Kopf verlierst, überzeugt er dich davon, dass es schlimmer gewesen wäre, wenn sie dich zu Brei gefahren hätten und man dir kein Responsorium an der Bahre (mit ganzer Leiche) hätte singen können. Aber selbst ohne Kopf sind die Angehörigen glücklich und danken Gott, weil ihnen ein Stück Leiche zum eigenen Gebrauch geblieben ist, das sie beerdigen können, und sie fühlen sich den Nachbarn gegenüber mitleidig überlegen, die nicht einmal das Steißknöchelchen ihres Toten gefunden haben. Die Unglückseligen, denken sie, haben die anderen doch niemanden für eine Bestattungszeremonie, nicht einmal ein Stück Milz, einen Schenkel oder eine Niere, mit denen sie sich trösten könnten«, sage ich, erfreut über die neue Richtung, die das Gespräch genommen hat.
    »Ich glaube, die gehobenen Schichten sind skeptischer, was die Vorteile oder Qualitäten einer aufgebahrten Leiche angeht. Sie können sie angenehm ersetzen durch einen Cocktail in einem luxuriösen Trauerhaus, oder, wenn der Schmerz intensiver ist, eintauschen für eine Shoppingreise nach New York oder – vielleicht passender – für einen melancholischen Spaziergang zwischen Ölbäumen, Zypressen und Ruinen auf irgendeiner griechischen Insel«, stimmt mir Francisco zu und fährt fort:
    »Anrührend, dies verzweifelte Bemühen, seine Toten aufzuklauben, auch wenn sie nur noch Matsch sind. Egal, ob sie stinken, verstümmelt sind oder verwest: die Leute wollen sie haben, die Körper (die Amis nennen die Leichen auch so, corpses, Körper) einsammeln, bevor sie von den städtischen Reinigungsdiensten, die für dasgewöhnliche Aas zuständig sind, weggeschafft werden. Sicherlich hat das irgendwas von ausgleichender Gerechtigkeit, die ärmsten Familien in den elendsten Ländern haben den größten Reichtum an Leichen. Sie haben kein Geld, keine Villa in Cap Ferrat, können sich nicht einmal an einer bescheidenen Privatrente erfreuen, aber sie besitzen eine reiche Palette makabrer Biomasse: Tote durch Arbeitsunfall, Überdosis, Unterernährung, Aids, Zirrhose, Hepatitis C, Gender- oder Straßengewalt; Tote, die sich, weil sie alles satthatten, die Kugel gaben oder sich am Olivenbaum

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