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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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aufknüpften. Sie sind Eigentümer eines breitgefächerten Fundus von Leichen, die sie mit Klauen und Zähnen verteidigen. Lasst die Armen zu mir kommen, sagte Jesus Christus.«
    »Er sagte nicht die Armen, sondern die Kinder«, das ist wieder Carlos, der birnenförmige Laizist.
    Ich:
    »Klar, aber man kann davon ausgehen, dass er die Kinder der Armen meinte, kein Reicher erlaubt seinem Kind, sich einem Unbekannten zu nähern. Ein Armer schon, es könnte ja sein, dass diese Begegnung der Anfang irgendeiner einträglichen Transaktion wäre. Der Arme steht gewöhnlich unterhalb der Schwelle zu dem, was sich protestantische Spießbürger ausgedacht und Moral genannt haben.«
    Der säuerliche Geruch herrscht vor: Im Sommer mischt er sich mit anderen Gerüchen, intensiver noch und unerfreulicher, nach Zersetzung, nach totem Fleisch und, besonders unerträglich, nach faulem Fisch oder Meeresfrüchten. Lass einen Seehecht, einen Tintenfisch oder ein paar Miesmuscheln einige wenige Tage in der Sonne liegen, oder auch nur die Reste des Fisches, den du gerade verspeist hast, im Mülleimer zu Hause, und du siehst, in was sich das verwandelt, was dir so gut schmeckt und für das du im Restaurant oder an der Bartheke fünfzehn oder zwanzig Euro hinblätterst: Das mit dem Müll ist wahrlich kein Vergnügen, auch weil die Leute so rücksichtslos sind, wir sind in denContainern sogar auf tote Hunde, verweste Katzen und Ratten gestoßen, dabei wissen sie doch, dass sie nur geschlossene Müllbeutel hineinwerfen sollen, keinen losen Abfall und schon gar kein Aas; vor allem im Sommer kommen die Städte gar nicht damit nach, den ganzen Dreck zu entsorgen, der von den Abertausenden von Touristen produziert wird, da ist kein Container in ordnungsgemäßem Zustand, alle quellen über oder sind von Beuteln umringt, die von den Hunden – oder den Ratten – aufgebissen werden, woraufhin der Inhalt überall verstreut herumliegt, und die Straßen im Zentrum, aber auch die Wohnsiedlungen außerhalb stinken: ein Grabesgeruch, uniform, der sich mit dem der Blumen und der Pflanzen vor den Apartmenthäusern und den kleinen Villen mischt und zusammen mit dem Benzin zu einem einzigen Geruch wird, dem Geruch der Küste. Ich wurde dafür bezahlt, ihn auszuhalten, einige Kollegen benützten Mund- und Nasenschutz, aber ich ertrug das mehr oder weniger, mein Geruchssinn ist widerstandsfähig oder auch nur schwach, es wundert mich aber, dass die Touristen herkommen und sogar dafür zahlen, einen ganzen Monat neben diesen stinkenden Müllcontainern zu verbringen. Wahrscheinlich sind sie daran gewöhnt, weil ihre Städte so ähnlich oder noch schlimmer riechen, schließlich und endlich ist das, was da fault, überall dasselbe, dieselben Marken derselben Vertriebsketten, große Verkaufsflächen, überall gleich dekoriert, hier wie dort. Dass es mir egal ist, ist auch egal. Nico, einer der Kumpel von der Müllbrigade, der als Kind von einem Bergdorf hergezogen ist, sagt, dass sei eben der wahre Duft des 21. Jahrhunderts, weder gut noch schlecht, so riechen eben die neuen Zeiten, das 20. Jahrhundert hatte einen bestimmten Geruch, und jetzt ist es ein anderer. Bis spät ins 20. Jahrhundert hinein roch es nach feuchtem Gras, nach Basilikum, aber auch nach Esel- oder Kuhmist, nach schmutziger Wäsche, nach kaum gewaschenen Schamteilen (im Dorf erzählt man davon, wie die alten Frauen rochen, die sich da ihr Lebtag nicht gewaschen hatten, weil das nur die Huren taten, wie sie nach Pisse und nach dem über Jahrzehnte konzentriertem Menstruationsblut stanken; und wie die alten Männer nach trockner Wichse und Urin rochen); nun herrschtder Geruch dessen vor, was wir, tiergleich, in unseren Bau schleppen, es liegt im Kühlschrank, bis es den Weg in den Mülleimer nimmt. Die Höhlen und Hütten der Urmenschen werden ja auch nicht nach Chanel geduftet haben, und hast du dir mal die Straßen der großen Städte vor zweitausend Jahren vor Augen geführt? Allein Rom, lieber nicht dran denken, da faulten im Schlamm tierische Knochen und Gedärm zusammen mit Gemüse und Fischresten, alles auf die Straße geworfen, so auch die Eimer mit den Exkrementen der Nacht, die nach dem Ruf
Obacht Wasser
aus dem Fenster geschüttet wurden, wenn denn derjenige so höflich war, Bescheid zu geben. Die Müllmänner jener Zeit mussten die Tierkadaver auf den öffentlichen Wegen einsammeln und auf ihre Karren werfen und buchstäblich die Scheiße weg fegen, und wenn man der

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