Am Ufer (German Edition)
um halb acht in Olba sein und sie um acht in der Keksfabrik in Misent, nachdem sie die Kinder versorgt und ihnen Frühstück gemacht hatte, keine Chance, das unter einen Hut zu bringen, aber ich hätte vielleicht mit dem alten Motorrad zurechtkommen sollen, schließlich wird es hier ja nicht so kalt, oder wir hätten es unter Umständen so organisieren können, dass sie gleich, statt erst später die Nachmittagsschicht bekam, und ich sie unmittelbar nach dem Mittagessen hinfuhr. Jetzt, seitdem die Keksfabrik geschlossen ist, arbeitet sie im Obstlager, da hat sie noch Glück gehabt, obwohl sie, je nach dem Tag, erst um halb zwölf Uhr nachts heimkommt und manchmal auch noch später. Nur sie braucht das Auto, ich muss zu keiner Arbeit. Ein Glück, dass wir uns nicht ein Haus in Olba gesucht haben, dort gefiel es ihr besser als in Misent, wegen der Kinder, du hast die Arbeit vor der Tür und die Kinder haben es schöner als in Misent. Wir sind gerade noch der Katastrophe entgangen, denn wir hatten uns schon einige Reihenhäuschen angesehen: Die kosten ja nur halb so viel und sind besser gebaut, alles besser verarbeitet und mit der Tür gleich in den Garten, insistierte sie, betrachtete dieses kleine grüne Taschentuch, das den Garten darstellen sollte, darin eine Palme, gerade einmal einen Meter hoch, die der rote Palmrüssler in ein paar Monaten liquidiert haben würde. Ich fragte mich, warum sie sich überhaupt für die Immobilienpreise interessierte und sie mit denen in Misent verglich, wo wir doch auch in Misent nieeine Wohnung besessen hatten, sondern immer wie jetzt wohnten, zur Miete, und gebe Gott, dass wir uns das weiter leisten können.
Ich gehe gern spazieren, wenn es regnet, ich ziehe mir Ölzeug an und gehe durch die leeren Straßen. Nico, mein Kollege, sagte, wenn wir in solchen regnerischen Nächten an dem Mülllaster hingen: Jetzt gerade gehört das alles uns, wir genießen es mehr und zu einer besseren Jahreszeit als diese Trottel, die Unsummen zahlen, um in den schlimmsten zwei Augustwochen herzukommen. Ich würde im August nicht einmal geschenkt hier Urlaub machen; im Norden schon, in einer Gegend, wo es Wiesen gibt, einen sauberen Fluss und ein Dorf mit zwanzig oder dreißig Familien; wo man gutes Brot kaufen und mit dem Bauern abmachen kann, dass man frisch gemolkene Milch bekommt, obwohl, heutzutage hat man nicht einmal in solchen verlassenen Dörfern Ruhe (im Sommer schwirren alle Landflüchtigen aus Madrid, Bilbao oder Barcelona zurück, sind laut, zücken in der Bar die Brieftasche und lassen sie weit offen stehen, damit man die Fünfziger-Scheine sieht, und die Touristen kommen in Legionen, weil sie wie du die Ruhe suchen, und so vermiesen sie es sich gegenseitig), und frisch gemolkene Milch kannst du auch nicht kaufen, weil es verboten ist, die Bauern riskieren gewaltige Strafen; das heißt also, du bist da und die Kuh steht daneben, gekauft wird aber die fettarme Milch von Puleva oder Pascual im Karton, angereichert mit Kalzium oder Isoflavonen oder allen nur denkbaren Vitaminen. Du siehst die Kühe auf den Wiesen grasen, musst aber dieselbe Milch kaufen wie zu Hause. Da willst du doch am liebsten davonlaufen, den Berg hoch, dich zwischen die Beine des Tiers legen und dir eine Zitze in den Mund stecken. Was für ein Genuss. Aber wer weiß, wessen man dich anklagen könnte, wenn man dich dabei erwischt, die Zitzen einer Kuh zu walken, bestimmt gibt es eine Anzeige: Missbrauch von Tieren, sexuelle Handlungen ohne beidseitigem Einverständnis, Angrapschen geistig Minderbemittelter, wer weiß das schon. Aber was für ein Genuss, du drückst, und der Milchstrahl trifft deinen Gaumen. Weißt du, mir hat das Spaß gemacht, die Milch meiner Frau aufzusaugen, hast du das nie gemacht? Die ist süßer als Kuhmilch.Ich glaube, wir alle haben etwas von der Milch getrunken, die unseren Kindern zugedacht war. Wir Menschen haben einen Hang, ein ander zu fressen und zu trinken. Hast du mal das Bild von Saturn, der seinen Sohn frisst, gesehen? Würde man die Kleinen nicht auch gerne verspachteln, wenn sie so zarte, rosige Ferkel sind? Still, du Schwein, sagte ich. Und er schrie: Wir sind die Könige des Viertels. Und ich dachte: Hinter den Müllcontainern, den Laternen und den Pflanzen, die über Gitter und Zäune klettern, all dem, was unser Reich ausmacht, wachsen die Araukarien, Palmen, Glyzinien, die Hibiskusbüsche, liegen die offenen und bedeckten Swimmingpools, die Jacuzzis mit ihrem sprudelnden
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