Am Ufer (German Edition)
hatte sich ausgerechnet, dass ich vor fünf Jahren, also mit fünfundsechzig in Rente ginge, die Werkstatt aber unter seiner Leitung weiter betriebe, er als Inhaber, der dem Gehilfen Anweisungen gibt, damit dieser die anstrengenden Arbeiten verrichtet. Er ging wohl davon aus, dass ich ihm diesen Gehilfen einstellen würde und selbst Tag für Tag herunterkäme und, als sei nichts geschehen, weiter arbeitete, die Beziehungen zu den Kunden pflegte und die Bücher führte, denn wenn du Álvaro die Säge, die Drehbank, die Poliermaschine, Bohrer und Raspel und Lack wegnimmst, dann weiß er nicht, was zu tun ist, er hat Hände, aber keinen Kopf. So hat er sich ausgerechnet, dass sich nichts ändern würde, alles so gut wie beim Alten bliebe, mit dem einzigen Unterschied, dass ich jeden Fünfundzwanzigsten des Monats meine Pension von der Sparkasse holen würde und er eine beträchtliche Gehaltserhöhung für die gestiegene Verantwortung bekäme. Die Schließung der Werkstatt, die Entlassungen, die präventive Beschlagnahmung vor der Insolvenzerklärung, das war alles nicht vorgesehen und das verzeiht er mir nicht – keiner von ihnen verzeiht es –, als sei es von mir nur eine Laune, sie mit der Schließung auf die Straße zu setzen. Sie hassen mich, weil ich ihnen den Milchkrug, den sie auf dem Kopf trugen, runtergestoßen habe: die Kanne in Scherben und die Milch ausgelaufen, weiß breitet sie sich zwischen den Pflastersteinen aus; aber ich bin nicht schuld an ihren Träumen, habe denen keinen Vorschub geleistet. Wie Francisco und ich früher gesagt hätten: Ich habe Geld gegen Arbeitskraft getauscht. Jede Seite hat ihr Teil gegeben, die Vereinbarung erfüllt. Die Träume waren nicht Teil des Vertrags, für die ist jeder selbst verantwortlich; dabei ist mir jede einzelne ihrer Enttäuschungen, jeder Bruch, jederEngpass, durch den sie gehen müssen, keineswegs gleichgültig; sie schmerzen mich sehr, über das Ökonomische hinaus, auch wenn sie mir das nicht glauben, es nicht verstehen, nicht verstehen müssen. Sie haben keine Arbeit mehr, ihre Berechnungen waren falsch, ich kann es mir vorstellen: Die Raten für Álvaros Wohnwagen, mit dem sie zum gegebenen Zeitpunkt mit beiden Renten, der seinigen und der seiner Frau, ein glückliches Nomadenleben beginnen wollten. An eben dem Tag, an dem er in Rente ging, hätte man seinetwegen die Schreinerei sofort dichtmachen können, oder etwa nicht? Die anderen waren unwichtig. Aber was hätten wir dann mit dem Kredit für den Peugeot 307 break von Joaquín gemacht und mit der Kommunion seiner Tochter oder seines Sohnes, weiß nicht mehr genau, wessen Beichte bevorsteht, aber er hat mir schon vor Monaten erzählt, dass er das Restaurant fürs Frühjahr bestellt hat, das Las Velas, eines der beliebtesten – und teuersten – Lokale der Gegend, wie er mir erzählte: Man muss ein Jahr im Voraus reservieren, sonst kriegst du keinen Termin. Ich kann meinem Sohn das Beste bieten, das, was ich als Kind nicht gehabt habe, sehen Sie, meine Frau arbeitet in der Keksfabrik (oder hat Joaquín im Orangengroßhandel gesagt?) und verdient ein ansehnliches Sümmchen hinzu. Nichts zum Prassen, aber diese Feier können wir uns leisten. Und was wäre mit Ahmed gewesen und seinem Wunsch, den Vater aus Marokko rüber zuholen, wo er verwitwet und allein lebt, weil die anderen Geschwister nach Belgien und Frankreich ausgewandert sind? Und aus seinem Plan, eine Wohnung mit vier Schlafzimmern zu kaufen, eins für das Ehepaar, eines für den Witwer und eins für jedes Kind, denn wir haben einen Jungen und ein Mädchen, und es ist nicht gut, wenn sich die Geschlechter ein Zimmer teilen, wie klein sie auch immer sein mögen – es ist unmoralisch, Señor Shteban, und auf Dauer gefährlich. Für einen Muslim kommt das nicht in Frage, erklärte er mir, als wir mal wieder fischen gingen, wahrscheinlich wartete er darauf, dass ich mitfühlend sagte, ich gebe dir ein Darlehen, das du mir nach und nach, wie du eben kannst, zurückzahlst – dieseMarokkaner glauben, dass hier das Geld vom Himmel fällt –, oder dass ich ihm zumindest für einen Kredit bürgte, mit dem er zum Kauf einer der bereits besichtigten Wohnungen hätte schreiten können. Oder einen Vorschuss auf sein Gehalt, so etwas legte er mir in den Augenblicken von Intimität nahe, die sich ergeben, wenn man allein zu zweit einen Morgen auf dem Land verbringt. Und was wäre mit den Samstagabendessen bei Julio (oder denen am Freitag im Fall und im
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