Am Ufer (German Edition)
aufgeblasen wie ein Truthahn und mit diesen spöttisch glänzenden Säuferäuglein, meinen Beruf vorwarf. Ich konnte nicht mehr an mich halten und fuhr ihn an: Und du? Was hast denn du für einen Beruf gehabt?
Collidor,
Orangenpflücker. Man muss nicht gerade studieren, um ein paar Scheren zu handhaben, Gartenscheren, mit denen man Orangen abschneidet; auch nicht, um wie ein Maulesel Kisten zu schleppen und abhängig davon zu sein, ob es an dem Tag regnet oder nicht, denn wenn es regnet, gibt es kein Geld, essen muss man aber jeden Tag, na, und nach all dem Elend musst du als Alter mit dem Bandscheibenvorfall zurechtkommen, kannst nur gebeugt gehen. Und was ist dir als Rente geblieben? Das absolute Minimum. Noch weniger wäre nichts. Mein Vater und ich, wir hacken uns, also geht er zum Gegenangriff über: Schon gut, aber diese Scheren sind ein Werkzeug für Männer, und man arbeitet in einer Kolonne von Männern (das war vielleicht früher so, jetzt ist es überall voll mit Rumäninnen, die Orangen pflücken, höhnte ich, mehr Weiber als Kerle, sie schneiden schneller und schleppen mehr Kisten, und mir nichts, dir nichts sind sie der Chef der Kolonne, schreien die Männer an und lassen sie in Reih und Glied antreten: Ich habe es gesehen), und Orangen pflücken, die Bäume beschneiden, Gestrüpp und Unkraut abbrennen und Kisten zu tragen und sie in einen Laster zu stapeln, das sind alles Arbeiten, die Männer schon immer gemacht haben, aber dieses Her um streunen, sich an der Straßenecke auf den Besen stützen, was soll ich sagen: Einen Besen zu schwenken ist für mich einfach keine Männerarbeit, die alten Frauen, die habe ich immer gesehen, wenn sie den Gehsteig vor dem Haus fegten, ich weiß schon, so was hat dir schon immer mehr gefallen, als Balken zu schleppen, auf ein Gerüst zu steigen, Zementsäcke zu tragen, selbst das Lastwagenfahren hattest duschnell satt; mit dem Körper, den deine Mutter und ich dir gegeben haben, hättest du in den vergangenen Jahren, als beim Bau das große Geld gemacht wurde, soviel du wolltest verdienen können, als Stuckateur, als Fliesenleger, als Schrottsammler, und du hast auch gut verdient, als du den Laster fuhrst, aber dir hat immer was anderes besser gefallen, du hast viel Körper, aber wenig Schwung. Ich hab ihn zum Teufel geschickt. Willst du mich als Schwuchtel hinstellen? Ein Mann? Du, ein Mann? Du bist doch nie bis zum Monatsende gekommen und hast ständig herumgejammert, weil dir der Rücken vom vielen Bücken und den vielen Kisten wehtat, und dann bereitete Mutter dir ein Bad mit heißem Wasser und Salz, rieb dich mit Kräutern ab, massierte dir mit Öl den Rücken, rief alle naslang den Arzt, weil du Halsweh hattest (die Armen sind eben so lange in den feuchten Obstplantagen, der Frost heute früh, der setzt eben zu, jeden Tag ein eben: das hat eben deinem armen Vater …), sie begleitete dich in die Notaufnahme wegen einer Muskelzerrung, du hattest nicht einmal die Eier, allein zum Arzt zu gehen, sobald du einen Krankenhausflur, die Betten siehst, nimmst du Reißaus. Wenn ich etwas feige bin, dann habe ich das von dir. Du, ein Mann. Nichts von wegen Mann. Ihr seid euer Leben lang Lumpen gewesen, man hat euch wie Lumpen behandelt und wie Lumpen bezahlt, tut es immer noch. Du hattest ja nicht einmal eine Arbeit, konntest nie sagen, ich habe eine Arbeit, du hast sie an dem Tag gehabt, an dem man dich verpflichtet hat, und hattest sie an dem Tag nicht mehr, an dem du nicht geheuert wurdest, das heißt, so richtig eine Arbeit gehabt, hast du nie, ein zahmer Ochse, der mit gesenktem Kopf dem Erstbesten folgt, der ihm zwei Taler in der Arena bot, und an dem Tag schwenktest du fröhlich den Schwanz, setz noch einen Topf auf, stell noch einen Wein her, und wenn die Taler ausblieben, war schlechte Laune angesagt, ein Geknurre daheim, weil sie dich zu keiner Kolonne eingeteilt hatten, weil es regnete oder weil das Arschloch vom Dienst (für dich waren alle Arschlöcher) einen billigeren und – selbstverständlich – ungeschickteren als dich genommen hatte, oder weil keine Orangen mehr zum Pflücken da waren, und dann musste sie dafür büßen, bei ihr wurdest du lautund gewalttätig, nicht bei den Arschlöchern. Dein ganzes beschissenes Leben lang bist du ein Arbeitsloser, ein Arbeitssucher gewesen: jeden Abend in die Bar, auf die Plaza, um sich wie eine Nutte zu zeigen, dem zuzulächeln, der die Kolonne zusammenstellt, ihn in ein Gespräch verwickeln, mal sehen, ob du
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