Am Ufer (German Edition)
Nachbarn darum zu bitten, den Kadaver eines Pferdes oder auch nur eines Hundes in seinem Transporter wegzuschaffen. Das ist inzwischen etwas gesellschaftlich Verwerfliches.
Ich habe den Geländewagen am Wasser geparkt, bin dann den kleinen Hügel hochgeklettert, der von der rechten Seite den Wagen verdeckt, und habe von dort oben die Landschaft betrachtet, die streckenweise vom Nebel und dem Rauch der Feuer verschummert war, in denen die ausgeholzten Äste verbrannt wurden. Der Rauch gibt dem sonnigen Wintermorgen die Duftigkeit eines Aquarells: dasGrün der vergangenen Monate ist durch Gelb- und Kupfertöne ersetzt worden, das Licht ist zugleich zart wie schneidend, es hebt die Volumina der fernen Bauten hervor, rückt sie heran, bis auf einen Steinwurf nah; es zeichnet mit dem Gravierstichel die getünchten Geräteschuppen der Bauern nach, die am Rand des Sumpfs Reis anbauen, auch die Häuschen für die Bewässerungspumpen, auf denen sich zum Teil noch der ursprüngliche Ziegelschornstein erhebt. Das Wasser, das im Sommer und an manchen Stunden des Tages erdfarben mit Teereflexen ist, zeigt sich nun am sonnigen Wintermorgen von einem intensiven Blau, das sich lebhaft von den bräunlichen Tönen des trockenen Schilfs und Gestrüpps abhebt: die Lagune scheint ihre vor Jahrhunderten verlorene Eigenschaft einer Meeresbucht zurückzugewinnen. In Berührung mit dem Wasser glänzt der Dünensand, in leuchtende Partikel gebrochen wirkt er wie Gold, Glimmerschiefer, Silber. Die zarte und anregende Vitalität des Morgens, an dem all das wie frisch erschaffen erscheint, was für mich kurz vor dem Verschwinden steht. Es ist, als hätte selbst mich ein Hauch von Jugend angeweht, was die Situation vollends absurd macht. Was bereite ich hier vor? Was will ich tun? Die Schönheit des Orts gibt der Situation eine unerwartete Wendung, eine Art von falscher Euphorie setzt sich gegen das Dunkel, das von hinten kommt und in das ich eingehe, durch. Mein Schritt ist beschwingt, ich schiebe das Schilf beiseite, das mir ins Gesicht schlagen will. Der Wechsel der Windrichtung – ein kaum merklicher, aber kalter Mistral, der die Luft mit einem Metallfaden zu schneiden scheint – mildert die Sumpfgerüche, löst oder mischt die süßlichen Aromen des stehenden Gewässers mit dem salzigen Hauch vom nahen Meer und dem Dunst der Gräser, ein feuchter Hauch vom nächtlichen Tau, der allmählich unter der Sonne verdampft. Spatzenschwärme kreuzen über den Himmel, Bewegungen, wie von einem Geometer aufgezeichnet. Ein ferner Schuss ist zu hören. Da schießt jemand auf die Enten; auf die Wildschweine, die vom Berg zur Tränke herunterkommen oder ihre Frischlinge im Röhricht verstecken, aberdie Wildschweine kommen meist erst bei der Abenddämmerung her unter. Bei sinkender Sonne habe ich ihnen mit Onkel Ramón aufgelauert. Neben dem Weg, hier oben auf der Düne, die am rechten Wegesrand liegt, gibt es einen Brunnen. Schon oft habe ich wie jetzt den Holzdeckel gehoben: kaum habe ich ihn gelüftet, spüre ich den feuchten Lufthauch, der von der Tiefe aufsteigt, ich sehe das Gemäuer, mit Venushaar bedeckt, ich hebe den Eimer von dem Haken, werfe ihn in die Tiefe und höre das Metall im Wasser aufklatschen. Ich ziehe an dem Strick und höre über meinem Kopf das Quietschen der Rolle und dort unten, im Inneren des Brunnens, einen Wasserschauer mit Echos, und zwar jedes Mal, wenn ich mit einem Ruck am Seil ziehe und das Wasser über den Eimerrand schwappt, eine Abfolge nasser Schnalzer. Der Metalleimer taucht von kaltem Wasser benetzt auf, ich trinke davon, schöpfe es mit den Händen, die von der Kälte taub und leuchtend rot werden. Ich spritze es mir ins Gesicht, schneidende Kristalle treffen auf die Haut. Dieses klare, kalte Wasser hat mit dem pastosen Wasser des Sumpfes nichts zu tun. Schon immer habe ich, wenn wir davon tranken oder es uns an Sommertagen überschütteten, über die Frische des Brunnenwassers gestaunt, und ich staune noch immer darüber, dass es aus so großer Tiefe kommt und dennoch nicht vom Salz des nahen Meeres erreicht wird; wie arbeitet es sich, geschützt von den Kalkfelsen, in diese tiefen Schichten vor? Wie ist der Mann, der den Brunnen gebohrt hat, auf diesen Ort gekommen? Wie konnte er ahnen, dass sich unterhalb des schlammigen Sumpfes eine Felsplatte erstreckt und unter dieser Wasser fließt? Weisheiten alter Bauern, Erfahrungen von Zahoris, über Jahrhunderte weitergegeben, von Menschen, die darüber hinaus mit
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