Am Ufer (German Edition)
vornehmen Zonen des Hauses zu besichtigen, bis wir feststellten, dass er uns alle dorthin geführt hatte, und zwar mit der gleichen Heimlichtuerei. Die Eitelkeit war immer sein Schwachpunkt. Er näherte sich gemessenen Schritts dem Weindepot, und hui, wie mit einem Zaubertrick, ließ er zwei Flaschen Vega Sicilia in seinen Händen auftauchen, zeigte auf die gelblichen, abgewetzten Etiketten, auf denen der Jahrgang aber noch zu lesen war; mit dem Zeigefinger deutete er mehrmals auf die Ziffern, versicherte, das sei ein ganz besonderer Jahrgang und dass kürzlich bei einer Auktion gut dreihundert Euro für eine solche Flasche gezahlt worden sei, die wir nun in einer Dreiviertelstunde trinken würden, perfekt ist sie, wenn man sie eine Weile dekantieren lässt, inzwischen decken wir den Tisch, machen die Salate und grillen das Fleisch. Einer, der es genau nahm, merkte sich dann den Jahrgang, die Adjektive, die Francisco für den Wein benutzte, um es irgendwann später bei einem Essen mit Lieferanten oder Kunden wie ein Papagei nachzuplappern oder um die Informationen dort fallen zu lassen, wo man mit solchem Wissen am meisten Eindruck schinden kann, etwa im Büro des Sparkassendirektors, bei dem du einen Kredit beantragen willst, den, da risikoreich, nicht einmal der berüchtigte Bankier Botín genehmigen würde. Also muss man den Sparkassenheini zu einem Kaffee verführen, ihm mit Libanonzedern, Seerosen, dem herbst lichen Laubsturm und den Walderdbeeren imponieren, und mit so einer Bemerkung: Neulich war ich bei Marsal, du weißt schon, der Sohn von Don Gregorio, der hat diese Gastronomiezeitschriftgeleitet, Mann, der Kerl hat was drauf, hat die halbe Welt bereist, und du müsstest mal hören, was er bei einem Wein herausschmeckt, mir hat er eine Kiste mit lauter kleinen Fläschchen gezeigt, in denen, was weiß ich, achtzig oder neunzig Gerüche eingeschlossen sind, vielleicht sind es auch nur sechzig, was aber auch schon riesig ist, sechzig Düfte, die du in einem Glas Wein aufspüren könntest, die Frau dieses Freundes – sie ruhe in Frieden – (schon hat er seinem Curriculum die wertvolle Freundschaft mit Francisco hinzugefügt) führte das Restaurant Cristal de Maldón in Madrid, du musst davon gehört haben, das war in allen Zeitschriften, im Fernsehen, zwei Michelin-Sterne, na ja, was wollte ich erzählen, also neulich holt der Typ für das Essen unter Kollegen ein paar Flaschen Unico von Vega Sicilia, weiß nicht mehr welcher Jahrgang, hervor – das bringt er, ist überzeugt, dass eine solche Erzählung dazu beiträgt, dass der Leiter der Sparkassenfiliale, der, bevor er nach Olba kam, höchstens mal einen originellen Jumilla getrunken hat, merkt, dass er es hier nicht mit einem Unglücksraben zu tun hat, der Kleingeld braucht, ein paar Euro, sondern mit einem Mann von Welt, der heute Morgen aufgestanden ist und plötzlich Lust hatte, mit einem anderen Mann von Welt über bestimmte Angelegenheiten zu sprechen, zwei Männer aus der Sphäre des Geschäftslebens: Der Kredit ist eher eine Ausrede, um sich auf das Sofa im Büro zu setzen und bei geschlossener Tür eine Cohiba zu rauchen und ein Glas Martell Cognac zu trinken, ich hab dir einen mitgebracht, warte, warte nur, ich hab die Flasche hier, in der Aktentasche, nimm, ich schenk dir ein, nein, nein, kommt nicht in Frage, die Flasche behältst du hier, sonst werde ich böse. Man weiß, dass solche Leute – Filialleiter, Prokuristen – Kriechtiere sind: vor demjenigen, der sie davon überzeugt, dass er, ein Kerl mit jeder Menge Knete, höher steht als sie, und wenn er einen Kredit haben will, dann nur aus einer Laune heraus, weil es ihm Spaß macht, sich eine Weile mit ihm zu unterhalten, vor dem kriechen sie, sie bauen keine Hürden auf und verlangen kaum Garantien; wenn es dir gelingt, bei ihnen einen Minderwertigkeitskomplexauszulösen, hast du diesen unmöglichen Kredit in der Tasche, mit der Bürgschaft eines Typen, bei dem nicht einmal mehr der Personalausweis auf seinen Namen steht. Wenn du dagegen sagst, bitte, bitte, du brauchst den Kredit, um dir dein Brot zu verdienen, damit sie dir nicht das Auto und die Wohnung wegnehmen, schnaufen sie dich zweimal an und weisen dir die Tür zum Ausgang. Mich haben die Nummern, die Francisco abzog, eher kaltgelassen, diese Hasen nase, die nervös ihre Gelegenheit erschnuppert, und dieses Reptilienhirn: nein, nicht eine Reptilienseele, er hat keine, keine Seele; auch ich habe keine, diese Anschauung teilen wir,
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