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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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Lichtschalter. Die Helligkeit der Birne verscheucht diese Körper, die ich berührt habe, verwandelt sie wieder in Luft, schließt sie in die Mauern ein, aus denen sie entwischt sind, löst sie im Nichts auf, aus dem sie nicht herausgetreten sein sollten. Ich stehe auf, trinke einen Schluck aus dem Milchkarton im Eisschrank, bereite mir noch etwas Erfrischendes zu, schalte den Fernseher im Wohnzimmer an, zünde mir eine Zigarette an und ziehe den Rauch tief ein und, zurück im Schlafzimmer, lege ich mich ins Bett, lasse aber den Rest der Nacht über das Licht brennen, um ihre Rückkehr zu verhindern. Apnoe, nennen die Ärzte, glaube ich, diesen Mangel an Luftzufuhr im Schlaf, eine Art kleiner Tod, der einen nach Luft schnappend hochschrecken lässt, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Im Schlafzimmer bleibt ein obszöner Geruch hängen. Es gelingt mir, wieder einzuschlafen, und diesmal gehe ich durch Gänge, die sich in alle Richtungen durch die Erde bohren, miteinander kommunizieren, sich überschneiden und ein Labyrinth aus stickigen Höhlen bilden, die Ausdünstung feuchter Erde mischt sich mit dem Hauch des besiegten Fleisches. Meine Schritte klingen hohl im Albtraum.Jeder einzelne entlockt der Erde ein mattes Geräusch. Leere Schritte, ein immer entfernteres Auftreten meiner Füße, bleiche Reflexe ihrer selbst. Und wieder der Geruch nach Feuchtigkeit, Moder, nach zersetzten Pflanzen. Es ist der Geruch des Sumpfes an einem heißen Tag; dennoch fühlt sich die Luft im Schlafzimmer kalt und feucht an, dabei schwitze ich. Ich gehe ziellos weiter, verwirrt durch die Führung der Gänge, und habe das Gefühl, dass diese Gänge in etwas drinstecken, das ich nicht erkennen kann, sie sind so etwas wie die gewundenen Gedärme eines riesigen Tiers. Aber worin, worin stecke ich? Die Erde – also das, auf das ich trete – beherbergt unter der zähklebrigen Oberfläche einen Dunst, der langsam austritt, bis Dunst und Boden aus einer einzigen glitschigen Materie zu bestehen scheinen. Ich gehe auf dem Dunst, und mit jedem Schritt sinken meine Füße tiefer ein. Als mit dem Aufwachen der Albtraum vorbei ist, stelle ich fest, dass die Außenwelt mir keine Erleichterung verschafft; was sich endlos jenseits der Jalousien ausdehnt, die ich vor Tagesanbruch hochziehe, jenseits der Fensterflügel, die ich weit öffne in der Hoffnung auf einen tiefen Atemzug sauberer Nacht, ist unerheblich, ich kann das, was jenseits ist, nicht erreichen. Da draußen bin nicht ich. Es ist ein fremder Ort, die Bühne für das Leben der anderen, die danach gekommen sind, zu spät, um bei der Aufführung mitzuwirken, in der ich die Haupt rolle spiele, oder besser gesagt, in der ich nur als Komparse aufgetreten bin. Der Autor hat mir nicht einmal eine Sprechrolle zugedacht. Eine Figur, die her einkommt und wieder hinausgeht und bei ihren Auftritten ein Tablett auf den Tisch stellt, den Aschenbecher auswechselt, eine Vase mit Blumen auf irgendein Möbelstück stellt oder ein Kleidungsstück in den Schrank hängt. Wer heute dazustößt, ist nur dazu autorisiert, das Ende zu sehen, und was soll ihn das schon interessieren. Was kann denn noch erwartet werden, das hier ist schließlich nicht mehr die Aufführung selbst, sondern das, was später geschieht, wenn die Leute aus den Kostümen schlüpfen, sie in der Truhe verwahren, Quasten, Pinsel und Schminkstifte einsammeln und dabei helfen,das Bühnenbild abzubauen, die Vorhänge einzupacken, Aufgaben, die, obwohl anstrengend, nicht viel bedeuten, eine bloße Frage der Abwicklung: die Schließung der Schreinerei, die Kunden, bei denen die Lieferfristen nicht eingehalten wurden, die Angestellten und Lieferanten, die nicht bezahlt wurden, der Buchhalter, von dem die Bank die letzten drei Rechnungen nicht angenommen hat, die Angestellten der Sparkassen filiale, die so schnell wie möglich Geld aus der Pfändung flüssigmachen wollen. Über allem wacht, wie in den Erbauungsstücken, die wir als Kinder im Schultheater aufführten, das Auge Gottes, in das Dreieck eingeschlossen, das schicksalsträchtige Auge, das alles sieht, vor dem man sich in keinem Winkel der Stadt verstecken, nicht einmal aufs Land fliehen kann. Kain, wo ist Abel? Bin ich etwa meines Bruders Hüter? Und Pedrós ist das Auge, auf seine Weise ein zeitgenössischer Gott, das Auge, das über der Bühne schwebt, auf der ein Theaterstück unter Erwachsenen aufgeführt wird, mein Fami lien gott, meine Manen, meine Penaten, derjenige, der im Skript die

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