Am Ufer (German Edition)
haben schon gegessen und machen zu der Zeit ihre Hausaufgaben oder sind vielleicht schon im Bett, und ich hab mich vor den Fernseher gesetzt; manchmal warte ich mit dem Essen auf ihn, andere Male bewahre ich ihm seine Portion auf, ein Teller, abgedeckt mit einem anderen, steht auf dem Tisch, Sie können sich nicht vorstellen, wie traurig mich dieses Tellerpaar auf dem Küchen tisch macht, wenn ich darauf schaue, bevor ich das Licht ausschalte und immer noch auf ihn warte, auf ihn, der, seitdem er arbeitslos ist, statt früher zu kommen, später kommt und dann noch meistens betrunken (wo glaubst du denn, dass man Leute trifft, woher soll denn die Arbeit kommen, knurrt er, während ich die gebügelte Wäsche zusammenpacke, glaubst du etwa, dass hier auf dem Sofa etwas passiert, dass jemand kommt und mir eine Stelle auf dem Tablett serviert?). Du erzählst, Liliana, und durch deine Worte nehme ich an einer neueren Inszenierung teil,die für dich vielleicht deprimierend ist, in mir aber komplizierte Gefühlsräume öffnet, Zimmer, die schon seit Langem für immer geschlossen schienen. Deine Traurigkeit nährt meine Hoffnung: Deine Bitterkeit mit meinen Armen schützen, sie streicheln, sie zu der meinen machen, die Wärme deiner Traurigkeit mir zu eigen machen, das erregt mich, und ich weiß nicht, ob diese Erregung rein oder unrein ist, du bist meine Tochter, und ich begehre dich, wünsche mir deinen kleinen Körper in meinen Armen, nur anschauen, wie es Onkel Ramón bei den Nutten tat, er sah sie sich an, als seien es Töchter, Mütter, und wie er sehe ich mich bei dieser Szene nie selbst nackt, das ist vielleicht eine Familienmarotte oder nur eine Frage des Alters: Ich drücke dich, deinen kleinen warmen, nachgiebigen Leib an mein Hemd, und das ist unrein, du lebst deine Aufführung, das für dich geschriebene Stück, und meine Aufführung ist vorbei, die Zeiten stimmen nicht überein,
décalage
nennen das die Franzosen, alles in meiner Aufführung ist kalt geblieben, ein schlechter Stückeschreiber hat die Handlung zu lang ausgewalzt, das Publikum langweilt sich, dennoch muss das Stück zu Ende gespielt werden, der Ausgang muss in Szene gesetzt werden.
»Süße, sagt er, oder: Kleine, und küsst mir den Hals. Lass das, es kitzelt, sage ich, in Wirklichkeit aber ekelt mich sein nach Rauch und Alkohol riechender Atem; und neuerdings ekelt mich das noch mehr, seitdem ich an seinem Körper Frauenparfüms gerochen habe, die ich nicht benutze. Als wäre ihm alles egal, obwohl, nein, sich selbst gegenüber ist er durchaus aufmerksam. Er gibt sich zerstreut, aber sobald ihm etwas nützlich sein könnte, ist er da. Manchmal sitzt er ganz ruhig vor dem Fernseher und schaut dann plötzlich auf die Uhr, springt auf, ist in einer Minute angezogen und stürzt los, nachdem er den ganzen Nachmittag auf dem Sofa verbracht hat, als ob er nichts erwarte, nichts wünsche. Wohin gehst du? Mal raus. Und ich bin mir sicher, dass er eine Verabredung hat. Er trifft sich mit jemandem und will es mir nicht sagen. Ich schaue auf die Uhr: acht Uhr zehn. Ich weiß also: Die Verabredung ist umhalb neun. Was wie Langeweile aussah, war also Warten, das heißt, er wartet den ganzen Tag lang auf dieses Treffen um halb neun. Mit wem? Zwecklos, ihn zu fragen, er macht sich nicht mal die Mühe, sich eine Lüge auszudenken. Mal raus. Ich geh mal raus, und wenn du insistierst, weißt du, dass er dich von oben bis unten anschauen wird, mit einem bösen Blick, so wie der Tiger im Käfig den Wärter ansieht, dieses minderwertige Wesen, das ihn gefangen hält, und er sagt kein Wort; oder er fängt an zu schreien. Was willst du? Dass ich mich nicht bewege? Was also? Es ist falsch, wenn ich gehe, und falsch, wenn ich bleibe. Wenn ich gehe, bin ich ein Säufer und Herumtreiber, wenn ich bleibe, ein fauler Sack. Dir kann man es nie recht machen. Ich kümmere mich um meine Sachen, kapierst du, um meine Sachen: Ich suche Arbeit, um dich und deine Kinder ernähren zu können. Und ich, die Mutter, bleib dann bei den Kindern, wütend, und weiß, dass er diese Zeit zu etwas nutzt, zum Trinken oder, schlimmer noch, zum Bumsen. Es ist schrecklich, wenn einen die Eifersucht überkommt bei jemandem, den man so gut kennt: Du weißt, was er der Frau, die er vögelt, sagt, die Gesten, die er macht, die Worte, die er säuselt, genau die, die er anfangs zu dir sagte, du siehst seinen Körper, Zoll für Zoll, siehst, wie sein Schwanz sich aufrichtet und sogar wie die andere ihn
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