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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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anstellen, um die Formulare für das Arbeitslosengeld auszufüllen. Ist er nicht etwa sein Stellvertreter auf Erden? Götter sterben nicht, sie sind unsterblich, und das weißt du. Du weißt, dass sie (unsere Götter von dort und auch jene, die von den Schwarzen auf den Schiffen aus Afrika mitgebracht worden sind) unsterblich sind, sogar wir sind es: Wir sind eine Zeit lang tot, als würden wir einen langen Schlaf schlafen, aber irgendwann wachen wir wieder auf. Wir werden wieder auf wachen.«
    »Wie das? Wo werden wir wieder aufwachen? Hier zwischen all den Spaniolen oder im Quindío, in Caldas, oder in Risnalda, am Cauca, oder am Magdalena, vielleicht flussabwärts, in Cartagena de Indias, in einer der Diskotheken, vollgestopft mit nicht ganz so reichen Spaniern, die ganz scharf auf das Feuer der Karibik sind, oder etwa mitten auf dem Ozean? Werden wir an einem Frühlingsabend aufwachen, ganz sanfte Luft, und werden wir unter einem großen Mangobaum sitzen, der uns Schatten gibt, oder zwischen den blühenden Kaffeesträuchern,beschattet von den Guamos, und erneut die Gesichter der Hurensöhne sehen, die uns von dort vertrieben haben?«
    »Woher soll ich denn das wissen? Wie und wo wir aufwachen. Ich weiß nur, dass wir aufwachen, das steht in den Evangelien. Das ist eine Sache des Glaubens. Wenn es nicht so ist, wenn nichts danach kommt, was bleibt uns dann noch? Nur dies, was wir durchmachen …«
    »Mensch, Mädchen, wer soll diese angegangenen Leichen aufwecken, deren Eingeweide die Hühnergeier vielleicht vor hundert Jahren gefressen haben. Keiner kommt von dort zurück, keiner wird je zurückkommen.«
    »Du tust mir leid, weißt du das? Du hast Einbildungen, aber keine Vorstellungskraft, deshalb kannst du nicht an Gott glauben, nur an deine hässlichen Toten, kannst nicht glauben, dass sich das hier einmal ändert, dass das Leben etwas mehr ist. Ich glaube an eine Glückssträhne, an die Richtigen in der Blindenlotterie, im Lotto, in der Klassenlotterie, und ich bete, damit das geschieht, und das Beten tröstet mich. Ich würde sogar beten, wenn es keinen Gott gäbe. Vorsichtshalber.«
    »Nein, nein, du willst es einfach nicht wahrhaben, dass es uns hier in Spanien einfach noch schlechter geht. Wir fragen uns nicht einmal mehr wie in Kolumbien, ob Wunder möglich sind oder nicht, oder ob es Gerechtigkeit geben wird, oder ob wir die Wahrheit begreifen werden, oder ob man Glück nur erlangt, wenn man seine Pflicht erfüllt, wir fragen uns schon nicht mehr, was der Sinn des Lebens sein könnte, sondern fragen, ob das alles überhaupt einen Sinn hat. Keine Zeit, keine Lust, keine Voraussetzungen. Diese Fragen sind zu groß für uns.«
    »Dann hast du aber nicht einmal den Trost der Tränen. Man weint um etwas, das man verloren hat oder sich wünscht. Du hast gar nichts. Kapierst du? Warum weinst du dann? Du hast viel gelitten, das gebe ich zu, das hast du: Erlittenes. Dass du dort arbeiten musstest, um deinen Mann und deinen Sohn herzubringen? Respekt.«
    »Sei nicht gemein, erinnere mich nicht daran. Das ist Schnee von gestern. Es geschah. Die Not hat dafür gesorgt, dass es geschah, aber es ist vorbei. Das gibt es nicht mehr. Genauso wie ein neues Leben kommenwird, haben wir auch ein altes Leben, das verschwunden ist. Ja, du hast recht, ich kann schon auch daran glauben, dass wir wieder aufwachen. Eine Frage des Glaubens. Ein besseres Leben. Wenn nicht das, was bleibt dann? So viel Leid, und alles für die Katz …«
    »Genau, Liliana. Jetzt gerade, wo der Nachmittag so feucht und neblig ist und die Kälte dir in die Knochen kriecht, ist Gott ein ordentlich heißer, aromatischer Kaffee, schwarz, und die Bohnen müssen frisch von der Rösterei kommen; im Sommer musst du Gott in einem köstlichen Eis suchen, eins von diesen leckeren mit Türkischem Honig oder Schokolade; oder Papaya und Mango, denn die Spanier machen jetzt endlich auch Eis aus Mango und Guave und Papaya, und irgendwann werden sie auch Eis aus Durianfrüchten haben, obwohl, den strengen Geruch, den könnten die Spanier eklig finden. Du musst nicht denken, dass ich den Geruch mag, aber die Frucht innen ist köstlich. Denk doch einfach, dass eben da, in der Eisdiele an der Plaza, ein Stück des Himmels, von dem wir träumen, für uns erreichbar ist – das haben sie uns noch nicht genommen. Setz dich mit deinen Kindern auf die Stühle der Terrasse dort, an einem Augusttag bei Sonnenuntergang, und bestell dir ein ordentlich cremiges Mangoeis, und du

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