Am Ufer (German Edition)
verkaufen, dem ist das zuzutrauen, wenn er nicht im Gefängnis sitzt oder niedergeschossen im Straßengraben irgendeines Weilers verblutet, denn nach dem, was du erzählt hast, hat er die Hälfte, die er für den Botendienst bekommen hat, in lauten Trinkrunden und in Hemden und Schuhen verputzt, ach, Liliana, Mädchen, bete dafür, dass dein Wilson keine Berechnungen anstellt und Verdacht schöpft, dass er das, was du im Bauch rumträgst, nicht zu verantworten hat. Du hast das verdammte Glück, dass er so eingebildet ist, dass er nicht einmal auf den Gedanken kommt, dass du, nachdem du seins kennengelernt hast, auch das von anderen kennenlernen willst, das Glück hast du, oder das Unglück, denn du wirst ihn, selbst wenn du willst, so nicht los, die Füße auf dem Sofa, Größe sechsundvierzig, locker, da langt kaum das Sofa für so viel Fuß, die Bierdose, das tägliche Fußballspiel, all das, diese Wohnung, das ist wirklich die Hölle, ruf den Papst an und sag ihm, du hättest die Hölle gefunden, die ihm abhandengekommenwar, und den Teufel, der dich mit dem Dreizack verfolgt, sag dem Papst, du kennst seine Adresse, denn dieser Wilson ist wirklich ein Teufel, der es auf dich abgesehen hat. Und du gibst das Geld aus, um mit den Verstorbenen zu sprechen. Du musst zugeben, dass das keine Logik hat, mit Großväterchen und Papa und den verstorbenen Tantchen im Jenseits zu sprechen, als hättest du sie hier auf Erden nicht schon genug gehört. Lass die Toten in Frieden, wir können davon ausgehen, dass es diesen Leuten gut geht, weil sie kein Lebenszeichen von sich geben, auch nicht vorbeikommen und etwas haben wollen. Ich weiß nicht, was wir Armen für einen Tick mit den Toten haben, die Reichen kaufen sich Wohnungen, Jachten, Schmuck, Aktien, sie wollen mit den Lebendigen leben und haben keinerlei Interesse, mit den Toten zu reden. Sie haben weder Lust noch Zeit dazu. Und du hast deinen Mann nicht einmal wegen Bedrohung und Misshandlungen angezeigt, dabei wäre das allmählich wirklich Zeit. Weißt du, dass du nach einer Anzeige wegen Misshandlung nicht mehr abgeschoben werden kannst, selbst wenn du keine Papiere hast. Und außerdem schützt dich der Staat, sie stecken dich in eine überwachte Wohnung, geben dir zu essen, und du bekommst sogar eine monatliche Zuwendung.«
»Das hat mir schon der Alte gesagt. Dass man, wenn man Anzeige erstattet, spanische Papiere bekommt.«
»Liliana, du hast doch die Chance gehabt, sie alle zurückzulassen, die Kinder und ihn, alle in Kolumbien, und du hättest hier ein eigenes Leben beginnen können. Deine Eltern hätten sich um die Kinder gekümmert, er hätte sie wohl kaum gewollt, deine Mutter lebte noch, und wozu hätte er dich gewollt, wenn du ihm keinen Peso geschickt hättest, du hättest dich befreien können, einfach durch Abwesenheit, und neu anfangen. Wenn du durch die Hölle gegangen bist, dann hätte doch jetzt das Gute beginnen können, du hast ihnen die Tickets mit der Mühsal deiner Möse bezahlt: Du hast dir das Elend erarbeitet, du dummes Huhn. Deinen Mann hat das nicht interessiert, er tat so, als ob er nichts davon mitbekäme, er hat nicht einmal nachgefragt. Dein Wilson gab sich unbedarft, weil es ihm nützte, nichts zu wissen, aber natürlichwusste er, was los war, so wie er wusste, dass sein Bruder dich beim Hinflug als Drogenbotin benutzt hat – wie viel hast du dir eigentlich reingesteckt? –, aber Wilson hat das Maul gehalten, weil du Geld rüberschicktest, er schwieg und hat dir später nicht einmal erzählt, dass er auch als Arschbote hergeflogen ist und eine ordentliche Portion rübergebracht hat, also warst du die Einzige, die nichts erfahren hat, denn von dem, was diese Gramm ihm eingebracht haben, hat er nie etwas gesagt, oder? Er hat es sich aufgespart für seine Sachen, seine Saufgelage, für freitagnachts, wenn niemand wusste, wo er sich rumtrieb, und zurück kam er mit säuerlichem Schweißgeruch und einem Mix von Parfümeriedüften. Komm schon, mein Dummchen. Und dich lässt er Treppenhäuser scheuern und die Ärsche von alten Männern putzen. Kleines Dummchen. Du hast so schöne Haare, lass sie mich kämmen, die sind so weich, dass es eine Lust ist, sie zu berühren, wie schade, dass du sie diesem brutalen Kerl gibst, der sie gar nicht zu schätzen weiß, komm, lass mich die Spangen rausnehmen, lass sie offen, als Kaskade runterfallen, wie diese anrüchigen Frauen in den Seifenopern, ich lockere sie noch ein wenig, sodass sie dir über die
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