Am Ufer (German Edition)
(jetzt war sie schamlos, nicht mehr Tochter, ach, Tochter, ich hab dir eine Dose mit Kroketten beiseitegelegt, die könnt ihr euch abends zu Hause frittieren, die Kinder mögen sie am liebsten frisch und schön warm), diese schamlose Person, sagte meine Mutter, hat sie mir weggenommen (die Enkel). Sie hat sie gestohlen. Wie sie alles gestohlen hat, was unserem Sohn gehörte. Wie sie das, was uns gehörte, gestohlen hat.
Die Kinder meiner Schwester haben den zweiten Aufguss der Mütterlichkeit, für den bei den Frauen die Enkel sorgen, in ruhi gere Bahnen gelenkt. Diese Enkel hatte sie – wenn auch weit weg in Barcelona. Sie kamen zu Besuch. Über ihre Tochter sprach sie nicht schlecht, aber ich weiß, es schmerzte meine Mutter, dass sie selbst nie nach Barcelona eingeladen wurde. Sie taten es nicht. Entweder, weil ihnen die Alte lästig war und sie nicht recht wussten, was sie mit ihr in der Stadt anfangen sollten, oder weil – wie Carmen sagte – das Haus wirklich sehr klein war. Die Mutter sah das als Lieblosigkeit an, sie litt, zugleich war das aber auch anregend. Zu leiden zerstreute sie, es gab der Zeit Sinn und Halt; und es erlaubte ihr zu klagen, ihre Bitterkeit auszuschütten: die Kinder, dort; und sie, die Großmutter, hier, in vierhundertfünfzig endlosen Kilometern Entfernung. Sie schickte ihnen mit der Post selbst gestrickte Pullover, kaufte ihnen Jacken, die meine Schwester, so glaube ich, an arme Leute, an Nachbarn in Not, weitergab, dörfliche Pullover, altmodische Strick- und Windjacken, niemand, der nur ein klein wenig ambitioniert war, konnte sich in einer Großstadt so kleiden. Germáns Kinder sah sie nie wieder, nicht einmal zu ihrer Beerdigung sind sie gekommen, ich weiß nicht mehr, ob sie zu dem Zeitpunkt, als Mutter starb, noch in Misent wohnten, wohin mein Bruder nach der Hochzeit gezogen war und wo er die Werkstatt aufgemacht hatte.Jetzt jedenfalls leben sie nicht mehr dort. Schon vor Jahren hat meine Schwägerin Haus und Werkstatt verkauft – die Werkstatt ging an einen Bruder von Leonor –, erneut geheiratet und die Kinder mitgenommen, ich glaube, nach Madrid. So bin auch ich ihnen nie begegnet. Ich denke, sie werden sich unserer erinnern, sobald sie hören, dass der Alte tot ist und ich keine Erben hinterlasse. Sie werden darauf vertrauen, sich mit dem Rest der Familie zusammenzusetzen, um sich an der Hinterlassenschaft gütlich zu tun. Sie, die Enkel, und die Kinder der Enkel, wenn sie denn welche haben, aber irgendeinen wird es schon geben, und die Kinder und Enkel von Carmen (von Carmens Enkeln weiß ich nur, dass es sie gibt, aber sie hat sie nie hergebracht, ich kenne nur Fotos). Und wer ist schuld? Die Schwiegertöchter, du weißt ja, wie Schwiegertöchter sind. Lumpenpfanne nennt man das Gericht, bei dem man die Reste des Eintopfs vom Vortag brät. Genau das werden Germáns Leute speisen, Lumpen. Sie werden ihre Onkel und Tanten kennenlernen: den Windhund Onkel Juan (der nach mir geboren ist), der von irgendeinem Ort der Welt anreisen wird, um sich mit ihnen beim Notar zu treffen; Tante Carmen und die Vettern und Neffen aus Barcelona, glücklich darüber, einander zu sehen, werden sie sich alle küssen, werden Telefonnummern, Adressen austauschen, alle sind sie gut gelaunt, optimistisch in Erwartung des Geldes aus der Kontenauflösung, aus dem Verkauf von Haus und Schreinerei, ein fantastischer Baugrund, zentral gelegen, auch wenn man heute gar nicht daran denken darf, ihn zu verkaufen, wer will das heute schon, ist doch alles im Angebot, Schnäppchenzeit. Immerhin freuen sie sich über den Schätzwert des Grundstücks am Montdor, an dem Hang, an dem ich mir nie ein Haus bauen werde, allerdings befinden sich auch dort oben die Preise im freien Fall: nur noch ein Drittel dessen, was vor sechs Jahren bezahlt wurde, aber auch heute noch ein schönes Sümmchen; über den Gemüsegarten, den mein Vater bis vor ein paar Jahren gepflegt hat und der heute als Stadtgebiet ausgewiesen ist, aber dennoch wie alles andere kaum zu verkaufen ist.Selbst beim Sterben hat der Alte keine gute Hand gehabt, werden sie scherzhaft in der kleinen Trauerhalle sagen, der Sarg mit Papas Leiche ist hinter dem Vorhang versteckt, den jemand schamhaft zugezogen hat, denn es ist nicht angenehm, ihn anzuschauen, obwohl die vom Bestattungsunternehmen exzellente Arbeit geleistet haben. Ein Griesgram ist unser Vater das ganze Leben gewesen, eine Verdrusswurzel, wird sie sagen, die sein Lieblingskind war. Und
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