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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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meine Schulter legen, ja, so, lehn dich nur an, wenn dich das beruhigt, entspann dich, was hast du nur für eine kleine Hand,schau mal, wenn du sie neben meine legst, sieht sie wie ein Spielzeug aus, eine Puppenhand, schau her, wenn ich meine Hand drum herumlege, sieht man nichts mehr von ihr, sie verschwindet, so mag ich’s, du lachst wieder, mit diesen wunderbaren Augen, du hast winzige Händchen, schau, leg sie auf meine, ha, ha, und wenn ich meine schließe, sind deine weg, sie liegen in meinen Händen, du hast kleine Hände, aber große Augen. Entspann dich. Alles geht vorüber, kein Leid währt ewig, kommt ein Unglück über dich, dann denk, die Dinge kommen nicht, um zu bleiben, sie gehen vorüber, das ist das Leben, Geburt und Tod, weiter und weiter, nichts steht still, alles geht, wir gehen, meine Mutter vor über zwanzig Jahren und Onkel Ramón, wie lange ist es her, dass Onkel Ramón gestorben ist? Er, der zu spät kam, um am Krieg teilzunehmen, dem meine Großmutter Klapse gab, während sie ihn an ihre Hüfte drückte, als die Faschisten ins Haus kamen: Seht ihr denn nicht, dass er noch ein Kind ist?, sagte sie, er, der spät heiratete, früh verwitwete und keine Kinder hatte, obwohl ich oft denke, er hat doch ein Kind gehabt, einen Sohn, mich, so wie er für mich fast ein Vater war. In seinen letzten Jahren kam er zurück nach Olba, er hatte die Schreinerei in Misent geschlossen, als seine Frau starb: Alles erinnert mich an sie, ich ertrage weder die Werkstatt noch das Haus, noch die Hafenkais, auch nicht die Cafés und die Geschäfte und die Bankfilialen an der Avenida Orts. Schuld gab er einem Gott, an den er nicht glaubte. Die Menschen, sagte er, können dir das ganze Leben versauen, aber, wie die Mystiker versichern, sie lassen dir die Ewigkeit, da kannst du ausruhen oder auf ihre Toten scheißen. Jeder Mensch hat eine besondere Art der Bosheit, und du kannst dich darauf einstellen (er sprach von den Menschen wie von den Fischen oder Wildschweinen, für jeden seinen eigenen Köder am Angelhaken, jedem seine eigene Gier, jedem seine eigene Falle). Ich fürchte nicht die Menschen, ich fürchte, dass es Gott gibt. Der hat sich das Böse für jeden Einzelnen von uns ausgedacht, das Böse in uns, das nach außen drängt, um alles zu verbiegen. Ich möchte nicht wissen, aus wasdieser göttliche Kopf besteht, noch was dieser heilige Hintern scheißt, Mars, die Sonne, Jupiter und der Mond, nichts als Kackfladen, und wir und die Ratten und die Kakerlaken sind übel riechende Spritzer.
    An manchem Abend bat er mich, ihn im Auto zu den Nutten zu begleiten. Dort ging er mit einer von ihnen ins Zimmer hoch, zog sich aber nicht einmal aus: Wie soll ich mich ausziehen, mit all diesem sackenden Fett (er nahm weiter zu, als Witwer war er gefräßiger geworden, immer kleiner schauten die Augen zwischen Fettkissen hervor) und den hervorspringenden Venen. Er hob das Hosenbein an und zeigte mir seine Krampfadern, freier Blick auf die ganze Farbpalette von Hellblau zu Marineblau bis hin zu Lila und Schwarz. Er zahlte, setzte sich auf das Bett, betrachtete die nackte junge Frau eine halbe Stunde lang, streckte die Hand aus, um sie zu berühren, gerade mal ein Streicheln, und ging dann wieder unsicher die Treppe hinunter, tastete sich Halt suchend an der Wand entlang. Auf der Heimfahrt blickte ich aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber und sah diesen Glanz über Lid und Wange hinunterlaufen. Wie konnten diese beiden Männer Brüder sein, hier dieser sinnliche Mensch, der in seinem Alter die Lust des Fleisches im bloßen Anblick suchte und mit dem Leben rang, weil er es so sehr liebte, und mein Vater, diese düstere Fledermaus, der ganze Wochen nicht aus dem Haus ging und die Fenster halb geschlossen hielt, damit das Licht der Sonne ihn nicht verletzte. Nichtsdestoweniger, mit diesem Mangel an Sinn, den das Universum vorzuführen beliebt, ist derjenige, der voller Leben war, als Erster gestorben, während der andere weiter versauert: Derjenige, der über sechzig Jahre lang sein Desinteresse am Leben gezeigt hat, fault lebendig vor sich hin und steckt mit seiner Bitterkeit alles an, was ihn umgibt.
    Auch mein großer Bruder Germán und ich ähnelten uns nicht: Varianten ein und desselben biblischen Themas, Kain und Abel, Schatten und Licht, obwohl in diesem Fall ich die überlebendeFledermaus bin und er an einem aggressiven Lungenkrebs gestorben ist (er war Nichtraucher). Gleich von Anfang an hat er gesagt, dass er nicht

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