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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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zwischen Cousins, Blut von unserem Blute, so wird, zurück in Barcelona, meine Schwester Carmen den engsten Freunden vorjammern. Ich kann nicht glauben, dass alles so kleinlich und schäbig ist, wird sie, die Barmherzige, Engelhafte klagen. Das war kein lehrhaftes Schauspiel für die Jungs. Oder etwa doch? Es kann nicht schaden, wenn sie allmählich lernen, wie das Leben so spielt.
    Sollen sie doch tun, was sie wollen. Geschwister. Ein harter Verlust bis jetzt (Tod bedeutet immer Härte), der von Germán, und zwei weniger plötzliche Verluste, zwei Fluchten eher, abgefedert, nach und nach, klammheimlich: die von Carmen und Juan, verwandte Schatten, die sich in der Ferne bewegen, ohne dass ihre Strahlungswärme uns wohltuend erreichen könnte: Juan sendet von seinem vermutlich aufregenden Nomadenleben nur selten Signale aus, aber vielleicht ist er über die Jahre auch ruhiger geworden. Die Zeit domestiziert uns alle, sie beruhigt, sediert, wiegt uns sanft ein, bis wir eingeschlafen sind. Das letzte Mal hat uns Juan vor drei oder vier Jahren angerufen, er wollte uns erzählen, dass er eine Immobilienagentur in Málaga habe oder etwas im Baugewerbe. Irgend so etwas teilte er mir mit. Alles bestens, alles bestens, sagte er und hatte den Tonfall eines Haarwuchsmittelvertreters. Ich erzähle es dir später genauer. Vater soll an den Apparat kommen. Aber Vater wollte nicht, er wedelte mit der Hand, als wolle er eine Wespe verscheuchen. Vater ist gerade nicht hier, sagte ich zu Juan, er ist raus, einenSpaziergang machen, und kommt spät zurück. Was ist los?, beklagte er sich. Will er nicht an den Hörer? Ich antwortete nicht. Schweigen. Er räusperte sich: Hol euch doch, hörte ich noch, bevor er den Hörer auflegte, gerade als ich ihn meinerseits auflegen wollte, weil es mich null interessierte, wer, wann und wo uns holen sollte. Seitdem: Schweigen. Ich bin überzeugt, auch das war eine Lüge, weder Málaga noch Immobilien, und
alles bestens
schon gar nicht. Der Kerl hat in seinen mehr als sechzig Lebensjahren nichts Wahres gesagt. Er kann an jedwedem Ort sein, in Coruña, in Bilbao oder in Bangkok, er mischt und verteilt Karten in irgendeiner Runde im Nebenzimmer einer Spielhölle an der Landstraße, die Kippe im Mund und eine kleine Linie auf dem Waschtisch, die ihn erwartet, wenn er mit der Partie fertig ist; vielleicht schneidet er gerade seine Zehennägel in einer Gefängniszelle, oder er stemmt die Ellbogen gegen eine Matratze bei dem mühsamen Versuch, einer internationalen Puppe ein Stöhnen abzuringen. Oder er ist gerade an dem Tag aus der Haftanstalt gekommen und ruft an, weil er ahnt, dass er schon morgen in eine andere eingeliefert wird und die Gunst der Stunde nutzen muss, in der er in eine Telefonzelle kann und auch genug Münzen hat, um zu organisieren, wer ihm die Kaution bezahlt, die für die Entlassung aus dem neuen Gefängnis nötig sein wird. Das letzte Mal kam er mit einer Ukrainerin zu uns, die er, wie er sagte, geheiratet hatte (sie war etwa dreißig Jahre jünger als er), aber auch das stellte sich als Lüge heraus, weder eine Hochzeit noch eine feste Partnerschaft, nicht einmal eine halbwegs stabile Beziehung: Es war eine Nutte, die ihm ein paar Tage zuvor über den Weg gelaufen war, sie ein Luder, er ein Gauner, er benutzte sie als Lockspeise für seine Raubzüge, was sich gerade anbot, das inbegriffen, was er mit uns vorhatte. Er brachte sie zu uns, und das falsche Ehepaar setzte sich ein paar Monate lang im Haus fest: Schmeißfliegen, die um uns herumsummten, dabei ständig das Wort Geld im Mund führten, denn Geld war das, was sie wollten, mein Bruder sagte, Geld für etwas, das ihm eine stabile Grundlage verschaffen würdeund uns allen Reichtum. Jedoch, um dieses fabelhafte Geschäft anzugehen, sei erst mal Liquidität vonnöten, Cash. Die wollen die Knete bar auf die Kralle – sagte er zu meinem Vater und mir –, um den großen Coup auf den Weg zu bringen, es sei ja bekannt, dass sie einem bei der Bank keinen Kredit ohne Bürgschaft geben, er wollte also unser Geld als Munition auf den Banktresen legen, als Sicherheit für den Sack mit knisternden Scheinen, den man ihm dafür aushändigen würde. Ihr streckt es vor (das ›ihr gebt es mir als Vorgriff aufs Erbe‹ war schon vergessen; der Trick mit der Unterzeichnung einer Verzichtserklärung hatte nicht funktioniert). Oder, noch einfacher, ich rühre euer Geld nicht einmal an, ihr hinterlegt es auf der Bank als Termingeld, bis ich das, was

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