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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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würde mich schelten, wenn er das sah, er könnte beleidigt sein, weil ich die Kiste, die ihm egal war, dem toten Hund schenkte, sofort würde die Kiste ihm als Kunstwerk erscheinen, etwas mit großer Sorgfalt Gearbeitetes, das ich geringschätzte. Ich hörte ihn geradezu schon klagen: Alles, was ich mache, ist für dich Dreck. Es kam nicht so. Er sagte nichts zu der Kiste, spottete aber, weil ich neben die kleine Leiche die Dinge gelegt hatte, mit denen der Hund gern spielte, den Ball, den Plastikknochen, auch das Deckchen, auf demer schlief, und das Mäntelchen, das ich ihm anzog, wenn ich im Winter mit ihm Gassi ging. Ich dachte, die Dinge würden ihm Gesellschaft leisten. Die Kiste mit dem Hundchen und seinen Sachen habe ich den ganzen Tag über im Wohnzimmer gehabt, bis spät in der Nacht, dann begruben wir ihn unter dem Magnolienbaum auf der kleinen Plaza in der Nähe unseres Hauses. Ich habe Álvaro gezwungen, nach Mitternacht mit mir rauszugehen, trotz aller Proteste (das ist doch alles unsäglich, der Hund da eingesargt), und wir haben heimlich gegraben, achteten darauf, dass uns die Polizei und die Nachbarn nicht sahen. Du bist verrückt. Aber wenn sie uns erwischen, wird es leider heißen, ich sei auch verrückt, grummelte er, aber leise, kein Geschrei, auch kein Geschimpfe, denn er wusste, ich würde das nicht ertragen. Nicht in jener Nacht. Ich war zu erregt und zu traurig, auch zu grimmig. In jener Nacht war mir egal, was er sagte. Wichtig war nur, meinen Hund so nah zu haben, wie ich ihn jetzt habe.
    Ich spreche mit ihm. Allein, nachts, im Schlafzimmer, ich habe sein Foto auf dem Nachttisch, neben dem meiner Kinder, aber ich spreche auch oft nachmittags zu ihm, wenn ich mich auf die Bank bei dem Magnolienbaum setze. Und im Frühling, wenn sich diese großen Blüten wie aus roher Seide öffnen, werde ich daran denken, dass er da drunterliegt und mir noch nach seinem Tod mit seiner Kraft Freude macht. Ich denke: Die Erinnerung an dich macht mich froh, für mich ist es, als ob du unsterblich wärest, denn du begleitest mich, solange ich lebe, du bist unsterblich, weil ich lebe, und du stirbst, wenn ich sterbe, keine Minute früher. Tatsächlich werden wir beide zur selben Zeit sterben. Mein Mann sagt, ich hab einen Schatten, aber ich weiß nicht, warum es für uns so feststeht, dass nur Menschen eine Seele haben, warum machen wir so einen scharfen Unterschied, was hatte er nur für Augen, und wie er mich damit ansah, ein bisschen Seele muss so ein Geschöpf haben, eine kleine, zarte Seele, bestimmt hat es die. Wie fröhlich er mich empfing, wenn ich mit Einkäufen beladen heimkam, wie er mir meine Küsschen zurückgab, er streichelte mir das Gesicht mit seiner kleinen rosa Zunge, ein fröhlicheres Kind als die meisten, denen ich inOlba begegne, mit ihren über den Hintern gerutschten Jeans, die Unterhose gut sichtbar, den iPod im Ohr, oder im Park auf diesen lauten Brettern rollernd, ohne Rücksicht auf die Alten, die da vielleicht auf den Bänken sitzen. Ein bisschen Seele muss so ein Tier haben, die Freude in seinen Augen, die Trauer, die Angst – sind das etwa nicht Erscheinungsweisen der Seele? Und wenn er keine Seele hatte, wenn er jetzt schon nirgendwo mehr ist, tröstet er mich doch, für mich ist er weiterhin da, zumindest habe ich jemanden, den ich ansprechen kann. Ich schäme mich, das zu sagen, aber ich erlebe es so, besonders seitdem Álvaro nicht mehr zur Arbeit geht und den ganzen Tag auf dem Sofa rumliegt und an Bierdosen rumnuckelt, jetzt ist er aufs Bier gekommen, er, der immer einen Wein vor dem Mittagessen und einen vor dem Abendessen trank, schluckt jetzt eine Dose Bier nach der anderen, der säuerliche Geruch hängt überall in der Luft, und er tippt auf seinem Computer herum und schaut Fernsehen. Ich verstehe ja, dass er sich fehl am Platze fühlt. Es muss hart für ihn sein, sich an die neue Situation zu gewöhnen, schließlich war die Schreinerei sein Leben, andererseits, wünschte er sich nicht, damit aufzuhören? Sagte er nicht, dass wir, wenn er erst mal in Rente sei, in einem Wohnwagen leben und von Ort zu Ort ziehen würden, ein Leben auf freier Flur? Mit dem, was uns beiden bleibt, könnten wir das schaffen, die Wohnung verkaufen, den Wohnwagen kaufen, das, was übrig bleibt, als Termingeld anlegen und weit wegfahren, ich mit meiner Gesundheitskarte in der Tasche. Solange bete ich zu meinem Hund, er soll uns von allem Übel erlösen, das auf uns zukommen könnte, wenn

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