Am Ufer (German Edition)
Ort, den er gewittert, aber nicht gefunden hatte, die Goldbarren stapeln, die nach Serien geordneten Bündel mit den lila Scheinen, die Aktienpapiere. Er hat nur noch ein paar Stunden, um diesem Irrglauben anzuhängen. Kurz vor dem überstürzten Abschied des gescheiterten Räuberpärchens hatte ich übrigens Gelegenheit, die Ukrainerin nackt zu sehen. Das war an einem Vormittag, als er schon aus dem Haus gegangen war. Olena – so hieß sie angeblich – kam und lehnte sich an den Rahmen meiner Zimmertür, gekleidet (um es so zu nennen) in einen durchsichtigen Morgenmantel. Sie trug keine Unterwäsche,nur dieses offene Mäntelchen, ein rosa Nippel schaute hervor und der rötliche Schatten ihres Geschlechts zwischen den sehr, sehr weißen Schenkeln, die der Tüll, oder was immer das für ein zartes Gewebe war, nicht abdeckte. Sie bat mich um eine Nagelschere. Sie wird gewusst haben wofür. Denn sie trug die Nägel lang und gelackt, sowohl an den Händen wie an den Füßen. Vielleicht um einen Niednagel abzuschneiden, das könnte sein, aber ich bin ziemlich sicher, dass mein Bruder sie geschickt hat, eine weitere Variante seiner Bettelei, ihre Erscheinung als Angebot einer Sozietät. Ich dachte mir, das Mäntelchen, der Nippel und der von weißem Marmor umgebene rötliche Schatten sollten eine Einladung an mich, den Bruder, darstellen, sich der Bande anzuschließen und Hilfe zu leisten beim Suchen der Schatztruhe, es ging um die Aufnahme eines neuen Partners in die Firma. Warum war Juan denn so früh aufgestanden, hatte sich alleine aufgemacht und den rothaarigen Glanz zur Verfügung gestellt, da sie doch sonst immer zusammen loszogen und er die Trägerin eben dieses Glanzes bewachte. Kein Zweifel, so war es: ein interfamiliärer Geschäftsvorschlag. Ich habe die Beteiligung an dieser Firma – wer weiß, ob Aktiengesellschaft oder mit beschränkter Haftung –, die durch den Tüll zu erahnen war, zurückgewiesen. Dafür habe ich jetzt keine Nagelschere mehr, Olena hat sie mir nicht zurückgegeben.
Ich konnte es nicht fassen, als ich ihn drei oder vier Mal nach Luft schnappen sah, die Pfoten zitterten wie Espenlaub, und allmählich, indes er ruhig wurde, umgab ihn Blut, ich rief nach ihm, als könnte ich ihn so zurückholen, doch nein, nach einer Reihe von Krämpfen, blieb das Maul offen und die Zähne schauten hervor, ein bedrohlicher Anblick. Ein gefühlloses Geschöpf, so schien es mir, unbekannt und grausam. Als sei durch den Tod seine wahre Natur zum Vorschein gekommen. Plötzlich kannte ich ihn nicht mehr, konnte ihn nicht mehr mögen. Ich wollte ihn nicht mehr streicheln, nicht einmal ansehen. Die Augen glasig, die Eckzähne spitz, diese Starre, die sich ganz schnell seinerbemächtigt hatte. Ein Fleischfresser, der mir nur noch Angst und Kummer einflößte und sehr viel Ekel. Er war es einfach nicht mehr. Ich wandte den Blick ab. Ich weiß nicht, warum die Leute unbedingt die Leichen ihrer geliebten Wesen sehen wollen, sie sind es doch nicht mehr, sind ihnen auch nicht mehr ähnlich. Dann prägt sich für immer dieser letzte Anblick ein, kehrt zurück, wenn du überhaupt nicht darauf gefasst bist, und beschädigt die Erinnerung an das Vorherige, an die Zeit, als du dieses Wesen liebtest; als es wunderbar war, ihn hin und her rennen zu sehen, und du ihn streicheln wolltest und vor Rührung sogar hättest weinen können, wenn er dich hingebungsvoll anblickte. Der Fahrer des Autos hatte nicht einmal angehalten. Womöglich habe er gar nicht bemerkt, dass er ihn angefahren hatte, hieß es, er war doch so klein. Das mag stimmen, aber ich glaube eher, er hat sich ohne Rücksicht davongemacht. Ich konnte mich nicht abfinden, die Nachbarinnen mussten mich ins Gesundheitszentrum bringen, weil meine Nerven nicht mitmachten. Dort bekam ich eine Spritze. Ich konnte nicht aufhören zu weinen, mein kleines Hundchen, so lebensfroh, und jetzt ein steifer Lumpenhund.
Ich bin so allein, meine Kinder leben weit weg und haben sich wirklich nicht groß um mich gekümmert, kommen nur selten zu Besuch, und mein Eheleben, das gibt’s eigentlich gar nicht. Mit meinem Mann spreche ich kaum, nicht einmal jetzt, wo man ihm bei der Schreinerei gekündigt hat und er den ganzen Tag zu Hause rumhängt. Er setzt sich vor den Computerschirm, schaltet sich ins Internet und reagiert unwirsch, wenn ich ihn anspreche, ihn bitte, mich zu Lidl oder zu Mercadona zum Einkaufen zu begleiten. Álvaro, komm doch mit, dann kommst du auf andere Gedanken,
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